Eine große Prise Sternenstaub

Barack Obama ist der neue Star der US-Demokraten. Sein Bestseller „Hoffnung wagen“ verbindet sehr anregend politisches Programm und Autobiografie

VON ROBERT MISIK

Es gibt so Momente, in denen man den Eindruck hat, dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Kaum jemand hat sich dieses Eindrucks erwehren können, als im Sommer 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston ein weithin unbekannter junger, schwarzer Politiker eine furiose Rede hielt: Barack Obama. Man spürte förmlich, hier spricht die Zukunft der US-Demokraten.

Es war die idealtypische Rede eines modernen Linken schlechthin: wie er die Hoffnungen der kleinen Leute, den egalitären Aspekt des amerikanischen Traums in zeitgemäße Worte fasste; wie er dem Parteienhickhack eine Absage erteilte; wie er über die gemeinsamen Hoffnungen sprach, denen die einfachen Amerikaner anhängen – unabhängig davon, ob sie Republikaner wählen oder Demokraten. Man spürte, dass auch heute noch die Linke eine „Partei der Hoffnung“ sein könnte. „The Audacity of Hope“, war die Schlüsselformel dieser Rede – „die Verwegenheit der Hoffnung“.

„Audacity of Hope“ ist auch der Originaltitel des Buches, das Obama Ende vergangenen Jahres herausbrachte – kurz bevor er seine Anwartschaft auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur bekannt gab. „Hoffnung wagen“, heißt es in der deutschen Übersetzung. Darin spinnt er sein Thema fort, das Thema, das ihn in Boston innerhalb einer halben Stunde zu einer Berühmtheit machte: Amerika kann ein besserer Platz werden, wenn sich alle dafür engagieren. Mal klingt er wie ein linker Weltverbesserer, mal wie ein Prediger des amerikanischen Traums, mal wie ein kommunitaristischer Theoretiker und mal wie einer, der von der grassierenden Politikverdrossenheit profitiert.

„Er hält die Demokraten-gegen-Republikaner-Politik für ein Gift, und seine Hoffnung besteht darin, dass wir darüber hinauswachsen“, schrieb die New York Review of Book über Obamas neuen Bestseller. Obama ist ein „Phänomen“, so der Rezensent, ein Begriff, „der für jene wenigen Menschen reserviert ist, die befähigt sind, unsere kollektiven Fantasien zu begeistern“. In den Umfragen für die Vorwahlen liegt er noch hinter Hillary Clinton, seiner Rivalin bei den Demokraten – aber bei den Wahlkampfspenden hat er sie im vergangenen Quartal schon weit überflügelt. Obamas Kampagne ist dabei, zu einer erfolgreichen Graswurzelbewegung zu werden.

„Wir wissen“, schreibt Obama, „dass hochfliegende Worte zynisch missbraucht und die erhabensten Ideen durch Machtlüsternheit, Eigennutz, Gier oder Intoleranz befleckt werden können. […] Ich bin zornig über eine Politik, die die Reichen und Mächtigen ständig den Durchschnittsamerikanern vorzieht, und ich bestehe darauf, dass es eine wichtige Aufgabe des Staats ist, für allgemeine Chancengleichheit zu sorgen. Ich glaube an die Existenz der Evolution, an den Nutzen wissenschaftlicher Forschung und an die Existenz der Klimaerwärmung; ich glaube an die freie Rede, sei sie politisch korrekt oder inkorrekt, und ich werde misstrauisch, wenn der Staat irgendwelche religiösen Überzeugungen (auch meine eigenen) Nichtgläubigen aufzwingen will.“

Eigentlich ist Obamas Buch ein Stück unmöglicher Prosa: sehr intim, ohne eine Autobiografie zu sein, ein politisches Bekenntnis, aber doch kein Manifest, ein politisches Programm, aber doch kein dröges Sachbuch. Ein Mann erzählt eine Geschichte. Und er verzahnt sie raffiniert mit seiner Geschichte – der Geschichte eines Sohnes einer weißen Amerikanerin und eines Afrikaners. Ein Glücksfall ist dieser Mann für Amerika, weil er eben ein Schwarzer ist, aber kein Afroamerikaner im strengen Sinne – Obamas Vater kam als Student aus Kenia in die USA. Die Sklaverei, mit dem über Generationen tradierten Opfertrauma, spielte in der Familiengeschichte Obamas kaum eine Rolle. Er verbrachte prägende Jahre bei seinen Großeltern: hart arbeitenden weißen Amerikanern aus dem Mittelwesten. Deswegen kann er auch mit stiernackigen Erdnussfarmern und Ölarbeitern so gut umgehen.

Gewiss, man kann einwenden, dass diese Rhetorik des „Alle gemeinsam“ und „Lasst uns unser Land vorwärtsbringen“, ein wenig kitschverdächtig ist – besonders, wenn man sie zwischen zwei Buchdeckel presst. Aber es hat sich in der amerikanischen Geschichte, freilich nicht nur in dieser, erwiesen, dass die besten Politiker die sind, die kollektive Hoffnungen und politische Leidenschaften zu beflügeln vermögen, über die engen Grenzen ihres angestammten Lagers hinaus. Schon nennen sie Obama den „neuen Bobby Kennedy“. Wenn er einen Saal betritt, sagte unlängst der ehemalige US-Vizepräsident Walter Mondale, dann reagieren die Leute, „als läge Sternenstaub in der Luft – jeder will eine Prise davon abbekommen“.

Barack Obama: „Hoffnung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream“. Übersetzt von H. Dierlamm/U. Schäfer. VerlagsService Dr. Ulrich Mihr, Riemann, München 2007, 474 Seiten, 19 Euro