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Archiv-Artikel

24 stunden spreebogen, folge 10 Von 9 bis 10 Uhr

Verschiedene Typen von Straßenlaternen stehen am Spreebogen. Aber auf dem ganzen Gelände des Berliner Regierungsviertel gibt es nur eine Sorte Bank: grobe Holzlatten auf verschnörkelten Eisenfüßen, Rücken- und Sitzfläche beschreiben eine sanfte Wellenlinie, was, bei aller Gesäßfreundlichkeit, eher retro aussieht. Manche wirken auch bereits ziemlich wettergegerbt und schäbig.

Wer sich um diese Stunde auf so eine Bank zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus setzt, hat die parallel laufenden Prozesse gut im Blick. Es wird geschäftig um diese Zeit. Viele schwere Limousinenpaare eilen vorbei, der hintere Wagen mit einem kleinen Blaulicht auf dem Dach. Um 9.30 Uhr ist Kabinettssitzung, Stoßzeit für die Fahrbereitschaft, die Minister versammeln sich bei der Chefin. Gleichzeitig sind die Touristen da: Japanische und schwäbische Touristengruppen fotografieren sich gegenseitig.

Um 9.30 Uhr stellt sich eine Frau vor eine N24-Kamera, die unter Bäumen bereitstand. Das Kameralicht geht an, die Frau zupft an ihrer Frisur herum, Blick aufs Handy, Handy wieder weg, wieder Frisurzupfen, dann kurzer genervter Wortaustausch mit ihrem Knopf im Ohr, wieder Handy, wieder Zupfen.

Um 9.35 Uhr geht es dann los. Die Frau redet konzentriert in die Kamera, während die japanischen Touristen jetzt diese Szene fotografieren. Schön ist noch, dass ein Mann vom Gartenbauamt seine Pause unterbricht und sich auch neugierig hinter die Kamera stellt.

Nach 40 Sekunden ist alles vorbei. Erstaunlich ist ja jedes Mal der Spannungsabfall, sobald die Kamera aus ist. Auch hier. Für einen Moment sackt die Frau richtiggehend in sich zusammen, dann lächelt sie plötzlich und schüttelt ihren Kopf. Danach setzt sie sich in einen Mercedes A-Klasse, der am Straßenrand steht, schaut noch einmal auf ihr Handy, steckt es weg, trinkt einen To-go-Kaffee und beißt in ein Käsebrot. DIRK KNIPPHALS

Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 9 bis 10 Uhr: am kommenden Samstag