: Zwischen allen Stühlen
RETROSPEKTIVE Mit einer Werkschau würdigt das Zeughauskino die Arbeit des kürzlich verstorbenen Regisseurs und Produzenten Hansjürgen Pohland
VON CLAUDIA LENSSEN
Modern Art nannte Hansjürgen Pohland die Produktionsfirma, mit der er mitten im Kalten Krieg in Westberlin zu filmen begann. Modern, das hieß vor allem, frischen Wind gegen den zombiehaften Ufa-Stil ins Nachkriegskino zu bringen. Pohland gehörte als einziger Berliner zu der legendären Rebellengruppe, die 1962 mit dem Oberhausener Manifest für eine neue Filmpolitik eintrat und den Neuen Deutschen Film mitbegründete. Vergessen oder unterschätzt wurde er trotzdem. Das Zeughauskino widmet dem kürzlich verstorbenen Produzenten und Regisseur aus Anlass seines 80. Geburtstags eine Werkschau, die neben Klassikern aus den 1960er Jahren viele unbekannte Filme aus seinem bislang schwer zugänglichen Nachlass präsentiert.
Hansjürgen Pohland entdeckte seine Leidenschaft fürs Kino, als er als Musikstudent Filmmusiken für Kurzfilme zu schneiden begann. Kaum volljährig, gründete er 1955 seine eigene Produktionsfirma und brachte sich das Regie-Handwerk learning by doing mit zahlreichen Kurzfilmen für den Berliner Senat sowie Werbe- und Imagefilmen bei. Das Geschäft war so lukrativ, dass er Mittel für eigene Filmideen übrig hatte. „Schatten“ z. B. orchestriert lauter Schattenspiele auf Berliner Brandmauern zu cooler Jazzmusik. Auch Pohlands erster Langfilm, „Tobby“, das semidokumentarische Porträt eines Blues-verliebten Bongospielers, lebt von flüchtigen Stimmungen, wunderschönen Fahrtaufnahmen durch die Stadt und synkopischen Rhythmen, die das Jazz-Feeling in Bilder zu übersetzen versuchen.
Außenseiter faszinierten Hansjürgen Pohland. Auch der wankelmütige Waschmaschinenmechaniker Walter, Protagonist in der von Herbert Vesely inszenierten Böll-Verfilmung „Das Brot der frühen Jahre“, der bekanntesten Modern-Art-Produktion, fällt in einen Jazz-grundierten „Mood for love“, als er sich in ein Mädchen verliebt und die karrierefördernde Heirat mit der Tochter seines Chefs ablehnt. „Das Brot der frühen Jahre“ schaffte es 1962 in den Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes und verschaffte den „Oberhausenern“ internationale Aufmerksamkeit, die bald eine Änderung der deutschen Filmförderung zur Folge hatte, ohne die die nachfolgende Generation um Fassbinder, Herzog, Wenders, Schlöndorff u. a. keine Chance bekommen hätten.
Eine bizarre Welle der Empörung entstand um die Verfilmung der Novelle „Katz und Maus“ von Günter Grass, die Hansjürgen Pohland 1965/66 selbst besorgte, weil mehrere Regisseure vom Projekt zurückgetreten waren. Der Film erzählt auf mehreren Zeitebenen die Erinnerung eines ehemaligen Gymnasiasten, der sich im polnischen Nachkriegs-Danzig an den Mitschüler Mahlke erinnert, einen Sonderling, an dessen mysteriösem Verschwinden gegen Ende des Krieges der westdeutsche Tourist (Wolfgang Neuss) mitschuldig ist. Mahlke, der spindeldürre Pubertist, trumpft bei den Ausflügen seiner Clique auf ein gestrandetes Marine-Boot damit auf, die nationalsozialistischen Männlichkeitsrituale zu übertreiben und unfreiwillig zu entlarven. So klaut der narzisstische Dandy einem Frontsoldaten das Ritterkreuz und vollführt damit auf dem Boot einen wunderbar ungelenken Freudentanz.
Pohlands Besetzung des jüngeren und älteren Mahlke mit Peter und Lars Brandt, den Söhnen von Willy Brandt, provozierte einen Skandal. Der Regisseur und Produzent ging auf die Bitten des Regierenden Bürgermeisters Brandt ein, der kurz vor der Kino-Premiere zum Außenminister der Großen Koalition avanciert war, und schnitt einige Szenen, in denen zum Beispiel ein Wett-Onanieren zu sehen war, um, dennoch protestierten Bundestagsabgeordnete der FDP und CSU gegen die angebliche Verspottung des Ritterkreuzes (nachzulesen in Enno Stahls Essay „Für die Katz und wider die Maus“, Verbrecher Verlag, 2012). Zwischen den Verrissen der Rechten und den aufbrechenden Protestwellen um Notstandsgesetzgebung und Polizeigewalt ging die historische Gesellschaftssatire „Katz und Maus“ unter. Vor allem wegen dieses Films ist Hansjürgen Pohland zu Unrecht vergessen. Am 17. Mai dieses Jahres starb er während der Filmfestspiele in Cannes nach einem Bad im Meer.
■ Werkschau Hansjürgen Pohland: Zeughauskino, Unter den Linden 2, 3.–21. 21, Kurator: Jan Gympel, www.dhm.de