VERLETZT IN MAX SCHMELINGS BETT
: Eine private Apokalypse

Kulturbeutel

ANDREAS RÜTTENAUER

Es ist der letzte Tag im Leben des Max Schmeling. Der Körper des einstigen Schwergewichtsboxers ist nach 99 Jahren am Ende. Schmeling schafft es nicht mehr allein vom Fenster seines Hauses in der Nordheide zurück ins Bett. Er braucht eine Pflegerin. Zu der will er eigentlich nett sein, schafft das aber nicht und wird zum alten Ekel, das sein Personal drangsaliert. Zurück im Bett denkt er über sein Leben nach. Viele Biografien hat er autorisiert. Über vielen steht sein Name, doch verfasst haben sie andere. Jetzt will er selbst schreiben. Er erinnert sich an seine Kämpfe und fragt sich, warum er ausgerechnet die Boxhandschuhe, die er bei seiner K.-o.-Niederlage gegen Joe Louis getragen hat, als Souvenir seines Lebens aufbewahrt hat. Er erinnert sich daran, dass alles so viel leichter war, als seine Frau noch gelebt hat, natürlich an die Begegnungen mit Adolf Hitler und würde am liebsten das machen, was er so gerne gemacht hat, als er noch dazu in der Lage war: auf die Jagd gehen. Dann ist er tot.

„Zurück zu Feuer“ heißt der neue Roman von Saskia Henning von Lange (Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2014). Ein Max-Schmeling-Roman? Irgendwie ja. Aber eben nur irgendwie. Es ist die Geschichte eines Paars, das am Tod ihres erwachsenen Sohnes zerbricht. Max Schmelings Haus ist die Kulisse für die Story. Der Mann soll das im Besitz der Gemeinde befindliche Schmeling-Anwesen begutachten, damit es endlich, Jahre nach dem Tod des Boxers, verkauft werden kann. Er fährt in die Nordheide und erlebt eine private Apokalypse.

Vor dem Eingang rutscht er aus, verletzt sich am Kopf, blutet, versorgt sich selbst notdürftig, friert, zieht sich einen Pullover Schmelings an, wird müde, kann nicht nach Hause fahren, weil sein Auto nicht mehr anspringt, kann nicht nach Hause telefonieren, weil sein Handy hinter den Trophäenschrank Schmelings gefallen ist, legt sich auf Schmelings Bett, findet darunter eine Waffe, hängt sie sich um, wird zum Einbrecher in einem Nachbarhaus, als er Hunger hat, verfeuert alles, was er im Gartenhaus Schmelings findet, weil er wieder friert, wird von einem Wildschwein verfolgt und von diesem verletzt, erschießt es, schleppt sich blutend durch den Wald, ist am Ende. Währenddessen räumt seine Frau die Wohnung aus, vernichtet alle Fotos, sitzt in der leeren Immobilie und fragt sich nicht wirklich, wie das alles weitergehen soll.

Es ist ein Rausch, in dem die beiden ihr altes Leben beenden. Es ist ein literarischer Vollrausch, von dem sich die Leserinnen und Leser immer dann erholen können, wenn das Sterben Schmelings in aller Nüchternheit beschrieben wird. Die Schmeling-Kulisse macht den Roman gewichtig. Dieses deutsche Sportlerleben, über das so viel geschrieben wurde, ist ein allzu schweres Bühnenbild für das private Drama. Würde die Lebenskatastrophe des stinknormalen Paares ohne die Max-Schmeling-Einsprengsel weniger dramatisch rüberkommen? Vielleicht.

Im Februar 2005 ist Schmeling gestorben. Sein Wohnhaus – hier verlassen wir den Roman – nebst riesigem Grundstück (87.000 Quadratmeter) hat er der Gemeinde vermacht. Die wusste lange nicht, was sie mit dem Nachlass anfangen sollte. Ein Münchner Boxklubbetreiber wollte mal ein Max-Schmeling-Museum dort einrichten, doch man hat ihm das letztlich nicht zugetraut. Irgendwann wurde das Grundstück aufgeteilt. Etliche Einfamilienhäuser entstehen jetzt dort. Vor gut einem Jahr wurde das Haus nun endlich verkauft. Ein Paar aus Hamburg will in das Haus einziehen, wie das Hamburger Abendblatt berichtet. Den Roman von Saskia Henning von Lange sollten die beiden besser nicht lesen. Er könnte ihnen Angst machen.