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Archiv-Artikel

Ausbreitung der Krawallzonen

REAKTIONEN Premierminister Cameron beendet den Urlaub von Polizisten und Politikern und kündigt eine Notstandsdebatte des Parlaments an

Die Versicherungen erklärten, dass sie bereits Schadens- meldungen in „hoher zweistelliger Millionenhöhe“ erhalten haben

Die Zahl der Polizisten in London wird kurzfristig um 10.000 Beamte erhöht, der Urlaub für die Beamten wurde gestrichen. Ab jetzt sollen 16.000 Polizisten auf den Londoner Straßen patrouillieren. Das gab Premierminister David Cameron, der seinen Urlaub in Italien abgebrochen hat, gestern Vormittag bekannt. Außerdem rief er das Parlament aus den Ferien zurück und beraumte eine Notstandsdebatte für Donnerstag an.

„Die Menschen sollten nicht daran zweifeln, dass wir alles Notwendige tun, um Recht und Ordnung auf den Straßen wiederherzustellen und für die Sicherheit der gesetzestreuen Bürger zu sorgen“, sagte Cameron. Es werde viele Verhaftungen geben, und die Gerichtsverfahren sollen abgekürzt werden, um die Schuldigen schnell zu bestrafen. In den Gefängnissen sei noch Platz für 2.500 Insassen, fügte Cameron hinzu. Er lehnte jedoch die Forderung einiger Abgeordneter nach einer Ausgangssperre und dem Einsatz der Armee zum jetzigen Zeitpunkt ab.

Die Gewalt hat sich vom Londoner Stadtteil Tottenham aus, wo die Krawalle am Samstag ihren Ausgangspunkt nahmen, auf weite Teile der Hauptstadt ausgebreitet. Waren es anfangs Jugendliche, manche erst elf, zwölf Jahre alt, so mischen inzwischen auch Erwachsene bei den Krawallen mit. Sie benutzen Twitter und SMS, um sich zu koordinieren, vor allem aber das Business-Smartphone Blackberry. Der Blackberry-Hersteller RIM kündigte an, die Daten von Randalierern der Polizei zu übergeben.

Von Ealing im Westen und Enfield im Norden bis Hackney im Osten und Croydon im Süden brannten an mehr als 30 Orten Gebäude, Autos und Busse. Hunderte von Geschäften wurden geplündert. In Croydon wurde gestern ein 26-Jähriger in seinem Auto erschossen, die Umstände sind bisher ungeklärt. Am Dienstag griffen die Unruhen auch auf andere Städte über. Auch in Birmingham, Bristol und Liverpool wurden Häuser und Autos in Brand gesteckt, Läden aufgebrochen und die Polizei attackiert. Ein Polizeirevier in Birmingham ging in Flammen auf. Insgesamt sind bisher mehr als 500 Menschen verhaftet worden.

Die Versicherungen erklärten, dass sie bereits Schadensmeldungen in „hoher zweistelliger Millionenhöhe“ erhalten haben. Aufgrund des Aufruhrgesetzes von 1986 können sie das Geld von der Regierung zurückfordern, sofern diese die Krawalle offiziell als Aufruhr einstuft. Viele kleine Läden sind lediglich gegen Feuer und Einbruch versichert, nicht aber gegen Plünderungen im großen Stil. Da die meisten dieser Läden nicht über Metallgitter verfügen, die zum Ladenschluss heruntergelassen werden, bewachten manche Besitzer mit Angehörigen und Freunden ihre Geschäfte.

Abgesagt wurde neben mehreren Spielen der englischen Ligen auch das für heute Abend angesetzte Fußball-Freundschaftsspiel zwischen England und den Niederlanden, für das 70.000 Karten verkauft wurden. Die Polizei kann keine Beamten dafür abstellen. Befürchtungen, dass auch die Olympischen Spiele im nächsten Jahr in London in Gefahr seien, sind vom Internationalen Olympischen Komitee zerstreut worden. Man sei zuversichtlich, dass alles glattgehen werde, hieß es in einer Presseerklärung, aber die Verantwortung dafür liege bei der britischen Regierung und der Polizei.

Eine erste Untersuchung des Todes von Mark Duggan, dessen Tod vorigen Donnerstag die Unruhen auslöste, hat ergeben, dass der 29-Jjährige bei dem Versuch, ihn zu verhaften, von der Polizei durch einen einzigen Schuss in die Brust getötet wurde. Colin Sparrow von der Unabhängigen Polizei-Beschwerdekommission sagte jedoch, dass die „komplexe Untersuchung des Falls“ vier bis sechs Monate dauern werde.

RALF SOTSCHECK