Haben wir Krieg?

betr.: „Terrorcamp-Besuche sollen strafbar sein“, „Für Schäubles neue Antiterrorgesetze gibt es keinen Bedarf“, taz vom 16. 7. 07

Bundesinnenminister Schäuble schlägt Maßnahmen vor, die Kriegsrecht entsprechen. Einsatz der Bundeswehr im Innern, Töten von Gegnern und Gefangenenlager für Gegner sind im Frieden unzulässig, zum Teil regelrecht Verbrechen, aber im Krieg sind sie üblich. Gegner müssen nichts verbrochen haben, um sie zu töten oder gefangen zu nehmen. Es reicht, dass sie Feinde sind, gegen die man Krieg führt. Aber tut Deutschland das? US-Präsident Bush hat unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta Krieg gegen den Terrorismus ausgerufen (Operation Enduring Freedom), und die Nato hat den Bündnisfall verkündet. In Afghanistan und im Irak ist in aller Brutalität Krieg geführt worden, und befriedet sind die Länder nicht. Wer kann im Ernst bestreiten, dass das Krieg ist? Wer Krieg führt, darf sich nicht wundern, wenn auch der Feind schießt und bombt.

Die Bundeswehr ist am Krieg gegen den Terror beteiligt mit Schiffen am Horn von Afrika und mit Tornados bei der Luftaufklärung in Afghanistan, indirekt durch Hilfen für die USA auch im Irak. Die Feinde werden zwar nicht als Feinde bezeichnet, sondern als Terroristen, aber das Abwerten von Feinden ist im Krieg üblich. Wenn die Verbündeten Luftangriffe fliegen, bei denen nicht wie bei Polizeiaktionen nur Verdächtige verhaftet, sondern regelmäßig Teile der Bevölkerung getötet oder verwundet werden, ist das ebenso Krieg, wie es die Bodenkämpfe sind, bei denen Städte, Dörfer, ganze Gebiete erobert oder verteidigt werden. Wie wir inzwischen wissen, geschah auch das zeitweise unter Beteiligung deutscher KSK-Soldaten.

Es ist freilich ein ungleicher Krieg. Die als Terroristen bezeichneten Feinde sind militärisch weit unterlegen. Sie haben weder Kampfflugzeuge noch Panzer. Deshalb führen sie den Krieg als Guerillakampf. Was unsere Politikerinnen und Politiker Terrorismus nennen, ist für sie die allein mögliche Taktik gegen einen waffentechnisch überlegenen Feind. Sie nennen das auch ganz offen Krieg.

Es ist weltfremd, ihnen vorzuhalten, der Koran verbiete Selbstmorde oder Angriffe auf unbeteiligte Zivilisten. In den Staaten islamischer Tradition gilt wie bei uns in den Staaten christlicher Tradition, dass im Krieg anders gehandelt wird als im Frieden. Schon vom Propheten Mohammed wird bekanntlich berichtet, dass er Krieg geführt hat, und der Kirchenvater Augustinus hat Verteidigung als gerechten Krieg gelehrt.

Betrachtet man die Situation nüchtern, ist das Gerede von der Verteidigung des Rechtsstaates gegen den Terrorismus unehrlich. Unsere Verbündeten führen Krieg in Afghanistan und im Irak, und wir beteiligen uns zumindest teilweise. Aber wir tun so, als gäbe es keinen Krieg. Deshalb hat zwar die Nato den Bündnisfall verkündet, aber die Bundeskanzlerin nicht nach Artikel 115 b des Grundgesetzes die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte übernommen. Deshalb diskutieren die Politikerinnen und Politiker die Kriegsrechtsvorschläge von Bundesminister Schäuble nicht als Vorschläge für (dann zeitlich zu begrenzendes) Kriegsrecht, sondern als Aushöhlung des Rechtsstaates. Viel unehrlicher geht es kaum. Richtig ist nur, dass Bundesminister Schäubles Vorschläge, wenn sie auf Dauer gelten sollen, den freiheitlichen Rechtsstaat ad absurdum führen. Was ein Parlament beschließt, muss nicht Recht sein. Bekanntlich hat der Reichstag 1933 legal die Diktatur beschlossen, und in aller Welt gibt es Gesetze, die formal korrekt beschlossen gleichwohl Unrecht sind. ULRICH FINCKH, Bremen