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Archiv-Artikel

Die kleine Nazi-Welle am Ostseestrand

Trotz zweier Übergriffe von Rechten in Mecklenburg-Vorpommern gehen Experten nicht davon aus, dass Verhältnisse wie Mitte der 90er-Jahre wiederkehren. Damals hatten an einem Badesee 50 Rechtsradikale auf westdeutsche Camper eingeschlagen

VON DANIEL SCHULZ

Die Frage ist wieder da. Wenn Karl Georg Ohse derzeit mal in Berlin mit Freunden beim Kaffee sitzt, dann wollen die irgendwann unweigerlich wissen: Kann man bei euch noch Urlaub machen? Bei euch – das ist in Mecklenburg-Vorpommern, und Ohse arbeitet dort im Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus. Sein Land macht wieder Schlagzeilen – mit fremdenfeindlichen Übergriffen.

Französische Touristen wurden in der Landeshauptstadt Schwerin am Dienstag von fünf Männern rassistisch beschimpft und mit Steinen beworfen. Bei Krakow am See prügelten sich sieben junge Menschen mit Russlanddeutschen, zeigten den Hitlergruß und schossen mit einer alten finnischen Maschinenpistole in die Luft.

Das lässt böse Erinnerungen wach werden an die gewalttätigen Übergriffe auf Urlauber in Mecklenburg-Vorpommern Mitte und Ende der 90er-Jahre. Exemplarisch für diese Zeit steht noch immer der Überfall Mitte Juli 1996 von fünfzig Schlägern auf westdeutsche Camper bei Plau am See. Mit Baseballschlägern, Stahlrohren und „Sieg Heil“ rufend prügelten Rechtsradikale auf eine katholische Jugendgruppe ein. Seitdem lässt Mecklenburg-Vorpommern allsommerlich 200 Polizisten an Stränden und auf Zeltplätzen Streife laufen. Kommen diese Zeiten nun wieder?

Das Innenministerium bestreitet eine solche Entwicklung, ebenso der Tourismus-Verband. Man verweist auf Zahlen. Nur 27 einschlägige Gewaltdelikte habe es 2006 gegeben, das sei ein Rückgang gegenüber 2005 um 13 Prozent. „Wir nehmen diese Ereignisse sehr ernst“, sagt Bernd Fischer, Geschäftsführer des Tourismusverbandes, „aber es gibt keine neue Welle der rechtsextremen Gewalt.“

„Nein, die Zahl der Übergriffe ist heute nicht so hoch wie Mitte der 90er-Jahre“, sagt auch Rechtsextremismusberater Ohse, „aber dennoch haben wir den Eindruck, dass solche Übergriffe im Vergleich zu den vergangenen Jahren wieder zunehmen.“ Die Täter seien allerdings oftmals nicht eindeutig dem organisierten rechten Spektrum zuzuordnen, seien in keiner Kameradschaft oder Partei.

„Diese Gewaltdelikte werden oft von Cliquen begangen, die zwar kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, aber rechtsradikalen Ansichten durchaus zustimmen“, sagt Tim Bleis vom Verein Lobbi. Er berät Opfer rechtsextremer Gewalt. Bleis sagt, er und seine Mitarbeiter hätten die Erfahrungen gemacht, dass sich diese Cliquen vor dem Landtagswahlkampf der NPD im Herbst 2006 eher ruhig verhalten hätten, um den Einzug der Nationaldemokraten nicht zu gefährden. Inzwischen aber glaubten „einige dieser Leute“, sich nicht mehr zurückhalten zu müssen. Lobbi wird auch des Öfteren von Urlaubern angerufen und um Tipps für einen sicheren Zeltplatz gebeten. „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nirgendwo, obwohl das Land vergleichsweise viel gegen den Rechtsextremismus tut“, sagt Bleis. Er rät, in einschlägigen Schwerpunktregionen wie Ostvorpommern vorsichtig zu sein.