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Archiv-Artikel

Streik um die Wurst

Saßen die Journalisten zunächst mit schlechtem Gewissen im Streiklokal, kämpfen sie jetzt immer überzeugter gegen die massive Missachtung ihrer Arbeit, die ihnen von Verlegerseite entgegengebracht wird. Eine junge Redakteurin schildert ihren Weg zum Streik

von Lina Schlosser

Ich bin ziemlich stolz auf mich. Aber auch ziemlich erschöpft. Zuletzt habe ich mich so gefühlt, nachdem ich in meiner Wohnung – drei Jahre nach dem Einzug – zum ersten Mal die Fenster geputzt hatte. Die wunderbar befriedigende Gewissheit, etwas längst Überfälliges getan zu haben.

Dieses gute Gefühl war nicht von Anfang an da. Als unser Protest im Mai mit einem halben Streiktag beginnt, ist meine Lust gering. Mit den Plänen der Arbeitgeber habe ich mich – obwohl die Verhandlungen bereits ein Dreivierteljahr andauern – bis zu diesem Zeitpunkt kaum beschäftigt. Außerdem steht meine Generation öffentlichen Massenmeinungskundgebungen prinzipiell skeptisch gegenüber. Wir sind ja so furchtbar individuell – und außerdem durch unsere 68er-Eltern traumatisiert, die uns bereits im Kinderwagen zu Friedensdemos karrten.

Und im Grunde habe ich auch gar keine Zeit für den Streik. In einer 45-Stunden-Arbeitswoche inklusive 7,5 Überstunden ist kein Platz für den Arbeitskampf. Meine, und nicht nur meine, anfängliche Vorstellung ist es, dass ich trotz Streiktagen die gleiche Leistung wie sonst bringen muss – gleich viele Seiten, die auch gleich gut sind. Typisch Journalisten. Sie halten sich für die Hüter der Demokratie – mindestens aber für Künstler, während sie in vielen Zeitungen längst wie am Fließband arbeiten.

In den ersten Streikwochen, in denen wir mal einen, mal zwei oder drei Tage streiken, bedeutet dieses Pflichtbewusstsein also noch längere Arbeitstage und noch mehr Frust, denn viele Geschichten können trotzdem nicht geschrieben, die Seiten nicht so sorgfältig gestaltet werden. Die Verliererin dieses Streiks, so kommt es mir vor, bin ich selbst. Der Arbeitgeber spart sich Lohn, die Zeitung erscheint in gewohntem Umfang, aber ich bin mit meiner Arbeit unzufrieden. Und wer weiß, ob der Streik so überhaupt etwas bewegt. Ich zumindest habe in meinem kurzen Journalistenleben noch keinen erfolgreichen mitgemacht.

Dazu kommt, dass die Tage außerhalb des Büros nach vergeudeter Zeit riechen, das heißt, nach Roten Würsten auf dem Grill. Denn wir Streikenden sitzen die meiste Zeit mit schlechtem Gewissen vor den Toren der Stadt, in einem Streiklokal mit dem holzvertäfelten Charme eines Vereinsheims, essen auf Kosten der Gewerkschaften jene Roten Würste und hören uns dafür deren Reden an.

Untereinander fremdeln wir Protestler noch wie Kinder am ersten Schultag. Denn der durchschnittliche Journalist spricht zwar viel mit Menschen, die er für seine Artikel braucht, und hört sich außerdem gerne selbst zu, aber von seinen Kollegen im Ressort nebenan weiß er oft nicht viel mehr als deren Namen. Und so wirklich interessiert es ihn auch nicht. Der Journalist ist ein latenter Autist. Und gerne auch ein Zyniker. Kollektive Gefühle, das Pathos einer Massenveranstaltung sind ihm peinlich. Da ist er normalerweise höchstens distanzierter Beobachter. Jetzt aber sitzen wir beieinander und sollen Genossen sein.

Das Maß an Geringschätzung ist voll

Ich weiß mit der geschenkten Zeit nichts Richtiges anzufangen. Nach den Streikversammlungen hänge ich lustlos in meiner Wohnung herum. Etwas Vergnügliches zu tun erscheint mir im Arbeitskampf falsch, zu etwas Sinnvollem (Fenster putzen?) kann ich mich nicht aufraffen. Streikdepression – vielen Neugenossen geht es ähnlich.

Aber die Pläne der Verleger, die mir nun immer klarer werden und die unter anderem Gehaltskürzungen von bis zu 25 Prozent für Berufseinsteiger vorsehen, halten mich weiter von meinem Schreibtisch fern. Davon wäre ich selbst zwar nicht betroffen, aber für mich ist damit das Maß an Geringschätzung voll, die man als junger Mensch in dieser Branche ohnehin permanent erlebt. Ich arbeite seit sieben Jahren fest angestellt für Zeitungen. Und von Anfang an kenne ich die demotivierende Botschaft, die von den Geschäftsführeretagen hinunter in die Redaktionen dringt: Unsere Branche ist eine, in der es immer nur schlechter wird. Seid froh, dass ihr überhaupt noch einen festen Arbeitsplatz habt. Dass man an ebendiesem mit seiner Arbeit zum Erfolg des Arbeitgebers beiträgt, geschenkt. Aber ich schweife ab.

Noch etwas treibt mich in diesem Streik an: eine Erfahrung, die ich am Anfang meines Berufslebens gemacht habe. Ich arbeitete damals bei einer anderen Zeitung. Als mein Volontariat vorbei war, beschloss der Verlag, Jungredakteure und neu Einzustellende in einer firmeninternen Leiharbeiterfirma anzustellen, die nicht tarifgebunden bezahlte. Man schuf ein Zweiklassensystem zwischen den Älteren im Tarif und jungen Leiharbeitern. Das Schlimmste aber war: den Alten war das ziemlich egal. Sie genossen die Gnade ihrer frühen Geburt. Wir Leihredakteure standen mit unserem Protest fast alleine vor dem Werkstor. Erreicht haben wir natürlich nichts. Jetzt bin ich eine Alte, na ja, eine junge Alte, und will es anders machen.

Deshalb ist völlig klar, dass ich nach der erfolgreichen Urabstimmung im Juli in den unbefristeten Streik trete, so wie mindestens 80 Prozent meiner Kollegen. Diesmal ist die Solidarität mit dem eigenen Nachwuchs groß. Der letzte Arbeitsfreitag ist ein komischer. Wie früher kurz vor einer Reise ins Kinderferienlager. Man räumt noch mal sein Zimmer auf, meldet sich bei den Freunden zu Hause ab. Unsicherheit: wer wird mitfahren? Wird mir das Programm Spaß machen? Werde ich die Familie zu Hause vermissen? Lohnt es sich? Aber auch das ist wie im Ferienlager: Ist man erst einmal da, ist das Zuhause schnell weit weg – auch wenn man in stillen Stunden kleine Heimwehschübe erlebt.

Während des Dauerstreiks löst sich die Lähmung. Es kann, das ist fast allen klar, jetzt nicht mehr nur um die Rote Wurst gehen. Wir wollen die uninformierte Öffentlichkeit, unsere Leser, aufklären. Darüber, was in ihrer Zeitung gerade vor sich geht, darüber, dass guter Journalismus in seiner Existenz bedroht ist. Journalisten, die sonst ihre Eigenbrötelei wie einen besonderen Qualitätsausweis vor sich hertragen, finden sich in Arbeitsgruppen zusammen. Wir basteln Flugblätter, Plakate und Streikzeitungen, wir organisieren Konzerte und Kundgebungen, Flashmobs, Kunstaktionen und eine Gläserne Redaktion, in die wir prominente Gäste einladen, wo wir mit Interessierten ins Gespräch kommen. Wir sind draußen, bei den Menschen und in der Stadt, für die wir schreiben.

Ich lerne viel: zum Beispiel, dass die Organisation jeder noch so kleinen Veranstaltung Nerven kostet, aber unheimlich befriedigend sein kann. Dass viele Menschen, denen ich auf der Straße unser Flugblatt in die Hand drücke, mehr Geld verdienen als ich. Dass aber mindestens genauso viele weniger verdienen. Dass Menschen eine Zeitung mit guten Texten schätzen, dass aber nicht alles, was ich gut finde, meine Leser interessiert. Und dass ich von vielen, aber nicht von jedem Solidarität für unsere Forderungen erwarten kann. Das alles will ich ebenso in die Redaktion mitnehmen wie die neue Verbindung mit den Kollegen. Einige überraschen mich in ihrem Engagement, andere enttäuschen mich. Manche sind genau so, wie ich dachte, andere ganz anders. Und wahrscheinlich geht es ihnen mit mir genauso. Wir geraten aneinander und vertragen uns wieder. Wir sind nicht plötzlich alle Freunde, aber wir nehmen einander wahr und ernst.

Raus zu den Leuten und weg vom Fließband

Ich habe auch etwas über mich gelernt: Beim Flashmob Geld für die Verleger zu sammeln, im Chor Parolen zu skandieren, mich auf der Straße vorbeihetzenden Passanten mit einer Streikzeitung in den Weg zu werfen, das alles fällt mir nicht leicht. Und ich gehe nicht gerne nicht zur Arbeit. Aber: ich kann und will mich für etwas einsetzen, wenn es mir wichtig ist. Und dieser Beruf und sein Fortbestand sind mir wichtig. Und da ist es mir auch nicht peinlich, bei einer pathetischen Gewerkschaftsrede zusammen mit den anderen Journalisten wild zu klatschen. Das ist ein gutes, aber noch ein wenig fremdes Gefühl.

Der Streik ist eine Art Gruppentherapie für uns Journalisten, die zeigt, dass wir kreativ sein können, wenn man uns lässt und wenn wir Zeit haben, innezuhalten, uns auszutauschen. Die gegenseitige Wertschätzung, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sinnvolle Ziel weckt viele Kräfte.

Wir haben dieses Jahr schon an mehr als 30 Tagen gestreikt. Die Verleger haben sich immerhin ein Stück auf uns zubewegt. Und noch sind die Verhandlungen nicht beendet. Egal, wie dieser Tarifstreit ausgeht, zurück in den Redaktionen wollen wir wieder mehr gestalten, diesen Kreativschub nutzen, mitreden, raus zu den Leuten, weg vom Fließband.

Vielleicht ist der Vergleich zwischen dem Streik und dem Fensterputzen gar nicht so weit hergeholt. Immerhin geht es bei beidem darum, für mehr Durchsicht zu sorgen, für einen klaren Blick auf die Welt. Und wenn der nächste Regen kommt, fangen wir einfach wieder von vorne an.