piwik no script img

Archiv-Artikel

Wurst mit Vergangenheit

VORRAT Sie haben gepflanzt, gesät, gegraben und gekocht. Ein Jahr lang. Vier Künstler wollen ein ganzes Festival mit regionalen Produkten versorgen. Jetzt wird aufgetischt

VON SUSANNE MESSMER

Es regnet dicke Fäden, riecht nach nassem Stroh, als sie sich in der Tordurchfahrt unter ihrem Atelier treffen. Dort hinten trennt Wapke Feenstra mit einem Nudelsieb die Spreu vom Leinsamen. Antje Schiffers trampelt auf Garben. „Wir haben natürlich keine Dreschmaschine“, sagt sie. Trotzdem musste der Lein bei diesem Wetter geerntet werden. Nun soll er schnell verarbeitet werden. Sonst könnte er schimmeln.

Sie kennen sich schon seit Jahren, Wapke Feenstra, aufgewachsen auf einem Milchhof im holländischen Friesland, Antje Schiffers aus Heiligendorf bei Berlin und Kathrin Böhm aus der Nähe von Bamberg. Gemeinsam sind sie in viele Dörfer Europas gefahren und haben dort Kunstprojekte initiiert. Einen mobilen Dorfladen für ortstypische Spezialitäten zum Beispiel.

Mit Künstlerkollege Thomas Sprenger arbeiten sie jetzt an diesem großen Auftrag, ein Jahr lang schon. Für das Festival Über Lebenskunst, das in der kommenden Woche im Haus der Kulturen der Welt beginnt, haben sie an einer Vorratskammer gebastelt. Einer Vorratskammer mit Produkten aus der Region.

Dafür haben die Künstler Bauern, Gärtner, Jäger, Schlachter, Ölmühlenbetreiber und Gewächshausbesitzer in und um Berlin gesucht. Haben geplant, geackert, gepflanzt, gesät, gepflückt, ausgegraben, geschlachtet, gedörrt, gekäst und eingeweckt. Um jetzt alle Vorräte in einen Lagerraum ins Haus der Kulturen der Welt zu schleppen, Führungen und Gespräche anzubieten, vor allem aber um mithilfe des Kantinenkochs die Festivalbesucher zu bewirten.

Leinöl aus dem Garten

Das Gericht, für das sich an diesem Regentag alle ins Zeug legen, ist ein berühmtes, ein einfaches. Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl. Eine Brandenburger Spezialität, heißt es. Eine mit detektivischem Hintergrund: Als die Gruppe nach Brandenburger Leinöl fahndete, flog bald ein Etikettenschwindel auf. In Deutschland wird kaum mehr Lein angebaut. Ölhersteller fliegen genmanipulierten Lein aus Kanada ein. Indem sie ihn in Brandenburg verarbeiten, dürfen sie „aus Brandenburg“ auf die Flaschen schreiben.

Das, dachten sich Feenstra, Schiffers, Böhm und Sprenger, kann man so nicht stehen lassen. Also brachen sie den Rasen vorm Haus der Kulturen der Welt um. Pflügten und eggten den Acker. Säten Lein aus Hessen aus, sahen ihm beim Keimen und Wachsen zu, beim Blühen und Reifen. Und ernteten. Jetzt dreschen sie ihn unter Anstrengung aller körperlichen Kräfte. Wahrscheinlich noch den ganzen Abend und den nächsten Tag.

Eine Woche später sitzen Antje Schiffers und Wapke Feenstra in ihrem Atelier, auf dem Tisch Kaffee aus Übersee und Brezeln aus Weizen, einem Getreide, das wegen des sandigen Bodens schlecht wächst in Brandenburg. Antje Schiffers sagt: „Was wir machen, hat manchmal sportliche Qualität.“ Ihr Rücken schmerze noch immer. „So viel menschliche Energie in ein einfaches Produkt wie Leinöl zu stecken? Das kann ja gar nicht nachhaltig sein“, lacht sie.

Was Schiffers meint, ist das Verhältnis ihrer Vorratskammer zum Trend, der vor allem unter Bewohnern besserer Stadtviertel, unter Bildungsbürgern und Latte-macchiato-Müttern immer mehr Anhänger findet. Nicht mehr nur biologisch müssen Lebensmittel sein, vegan, vegetarisch oder artgerecht. Sondern auch regional. Denn: Es geht um die Schonung der Ressourcen, die Schonung des Klimas. Und es geht um die Annahme, dass bekömmlicher ist, was um einen herum wächst. Sosehr sich das Projekt Vorratskammer darum bemüht, dem gerecht zu werden – es wirft auch Fragen auf. Etwa: Wenn man nicht weiß, wie man einweckt, also Gemüse und Obst konserviert – soll man dann vielleicht den ganzen Winter Rübensuppe essen?

Die Vorratskammer ist ein Mammutprojekt. Weit davon entfernt, alltagstauglich oder zeitgemäß zu sein. Antje Schiffers und Wapke Feenstra wissen das nur zu gut.

Gescheiterte Marmelade

Sie erklären die technische Herausforderung, im Wasserbecken vorm Haus der Kulturen der Welt schwimmenden Salat zu kultivieren. Sie beklagen gescheiterte Versuche wie die Marmelade aus Sanssouci, aus der nichts wurde, weil die Apfelsinen in der Orangerie gespritzt werden. Und sie schwärmen vom Käseworkshop mit einem spanischen Meister, bei dem sie sich wie im Chemiekurs fühlten, Tafeln mit Temperaturen und Zeitabfolgen anlegen mussten. Davon, dass es irgendwann ziemlich voll wurde im Kurs. „Überall Rohmilch“, erinnert sich Schiffers. „Überall Katzen“, erinnert sich Feenstra.

Überall Hindernisse. Nachhaltig zu essen, in einem Leben, das von Zeitmangel, Stress und den Hilfestellungen der Industrie strukturiert ist, erweist sich einfach als zu kompliziert. Trotzdem: Feenstra, Schiffers, Böhm und Sprenger haben eine Utopie aufblitzen lassen. Sie brennen für ihre Kammer. Für einen Vorrat, der in Lichtgeschwindigkeit geplündert sein wird. Für einen Vorrat, in dem jede Wurst, jede Tomate und jedes Butterbrot eine lange Geschichte erzählt.

Das Festival Über Lebenskunst findet vom 17. bis 21. August statt. Mehr Informationen unter www.ueber-lebenskunst.org