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Archiv-Artikel

Osten ist noch immer verlängerte Werkbank

In Ostdeutschland sind höhere Dienstleistungen im Vergleich zum Westen noch immer schwach nachgefragt

BERLIN taz ■ Höhere Dienstleistungen sind in Ostdeutschland im Vergleich zum Westen noch immer schwach nachgefragt. Während es im produzierenden Gewerbe in den letzten Jahren Zuwächse gab, existieren vor allem in der IT- und Finanzbranche Defizite. Dies geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hervor.

„Der Osten ist noch immer eine verlängerte Werkbank“, sagte Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) am Montag. Bis zum Jahr 2020 erwartet er allerdings dynamische Entwicklung und bis zu 4,6 Millionen neue Stellen im ostdeutschen Dienstleistungssektor, die zu einem Fachkräftemangel führen.

Bereits heute sind 75 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor beschäftigt. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sei damit „genauso weit fortgeschritten wie in Westdeutschland“, sagte Tiefensee. Dies geht allerdings vor allem auf das Konto einfacher Dienstleistungen, die kaum noch ausbaufähig sind und einem überrepräsentierten öffentlichen Sektor. So sind in den neuen Ländern bezogen auf die Einwohnerzahl 13 Prozent mehr Menschen in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt als in den alten. „Die Zukunft liegt in höheren Dienstleistungen“, sagte Tiefensee.

Und an denen mangelt es im Osten. Dies läge vor allem an der schwachen privaten Nachfrage und dem Fehlen von Unternehmenszentralen in der Region. „Ostdeutschland ist eine Filialwirtschaft“, sagte Kurt Geppert vom DIW, einer der Autoren der Studie. Um dies zu überwinden soll vor allem mehr Geld in Bildung und Ausbildung investiert und starke Regionen schwerpunktmäßig gefördert werden.

Helmut Seitz von der TU Dresden befürwortet die Konzentration auf Regionen mit Wachstumspotenzial: „Ein Euro ist in Leipzig, Dresden oder Magdeburg besser angelegt als in der Uckermark.“ Er warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen an neue Hightechbranchen, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden. „Es wird nicht funktionieren, sich Wunschbranchen herbeizusubventionieren“, sagt Seitz. Der Osten muss vielmehr seine Vorteile von weniger Bürokratie, eines flexibleren Arbeitsmarktes und geringerer Lohnkosten ausspielen, um Anschluss zu finden. Im Osten seien die Beschäftigten auch eher bereit, für weniger Geld mehr zu arbeiten.

Doch dazu bräuchte es auch mehr Forschungseinrichtungen, die Unternehmen anziehen. Es gebe ein „Riesendefizit bei der Forschung für den Mittelstand“, sagte Tiefensee. Hier müsse mehr investiert werden, auch um der bereits sichtbaren Abwanderung junger, hoch qualifizierter Menschen zu begegnen.

„Das ist schon jetzt ein Riesenproblem“, sagt Brigitte Loose vom Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle zur Abwanderung gerade junger Frauen. Ab 2010 werde sich die Abwanderung besonders auswirken und zu einem Fachkräftemangel führen. Auch sie prognostiziert langfristig ein großes Wachstumspotenzial. „Wenn das sichtbar ist, dann kommt es auch zum Rückzug.“ ANDREAS BACHMANN