: „Die Freundschaft zählt nicht mehr“
Karla Schefter, Leiterin des Chak-e-Wardak-Hospitals, sieht die Bundeswehr in einer Sackgasse
KARLA SCHEFTER, 65, Krankenschwester, leitet das 1989 von ihr gegründete Chak-e-Wardak-Hospital
taz: Frau Schefter, Sie betreiben seit 18 Jahren ein Krankenhaus in Wardak, der Provinz, in der die beiden Deutschen entführt wurden. Wie schätzen Sie die Sicherheitslage ein?
Karla Schefter: Sie hat sich stetig verschlimmert. Entführungen haben enorm zugenommen. Der Distrikt Jaghato, wo die beiden entführt wurden, liegt etwa zweieinhalb Stunden von unserem Krankenhaus entfernt. Ich kenne diese Gegend gut, auch mögliche Fluchtwege. Doch habe ich seit dem Frühjahr keinen Fuß mehr dorthin gesetzt. Und ich würde auch keinem Ausländer raten, es zu tun.
Heißt das, die Deutschen haben bewusst das Risiko in Kauf genommen?
Das vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht waren sie etwas blauäugig. Eigentlich ist allgemein bekannt, wie gefährlich die Provinz ist. Die Taliban-Gruppen sind immer stärker mit ausländischen Kämpfern und mit Kriminellen durchsetzt. Denen geht es nicht um Religion. Die machen für Geld die „Drecksarbeit“ – sie entführen oder morden, während moderate Kräfte, die es unter den Taliban immer gab, auf dem Rückzug sind.
Sehen Sie Parallelen zur Entführungsindustrie im Irak?
Wie im Irak sind es vor allem Afghanen, die unter der steigenden Zahl der Entführungen zu leiden haben. Ausländer sind natürlich eine besonders lukrative Beute. Für die humanitäre Hilfe ist das verheerend. Auch wir mussten einem Chirurgenteam absagen, das unser Krankenhaus besuchen wollte, weil das Risiko zu groß war.
Stehen Deutsche momentan besonders im Fokus?
Ich finde, ja. Man hat viel zu lange geglaubt, man könne sich auf die gute alte deutsch-afghanische Freundschaft verlassen. Die zählt hier nicht mehr. Deutsche Soldaten werden als Teil der Nato-Truppen wahrgenommen. Deutschland hätte sich mit einem militärischen Engagement zurückhalten sollen, wie im Irak auch. Vor allem durch den Tornado-Einsatz hat sich Deutschland in eine gefährliche Sackgasse manövriert. Es ist doch völlig klar, dass auf Aufklärungsbilder Bombardements folgen.
Sollte Deutschland seine Soldaten nach Hause schicken?
Auch wenn es so aussieht, als sei Afghanistan verloren, können wir jetzt nicht einfach die Notbremse ziehen. Nun stecken wir drin in dem Schlamassel. Ich habe auch kein Patentrezept, wie wir da wieder rauskommen.
Was lässt Sie angesichts dieser Lage weitermachen?
Wir haben 7.600 Patienten pro Monat, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Für viele sind wir die einzige Chance, medizinische Hilfe zu bekommen. Wir können hier nicht einfach zumachen. INTERVIEW: A. KELLER