: Im Mercedes zu den Partisanen
TRAGIKOMÖDIE Roadmovie in die Vergangenheit: der Film „Titos Brille“ mit einer tollen Adriana Altaras
Adriana Altaras fährt einen alten Mercedes. Sie ist auf der Fahrt von Berlin, wo sie heute lebt, unterwegs nach Gießen, der Stadt, in der ihre Eltern in den sechziger Jahren Fuß fassten. Der Kameramann (Johann Feindt) von „Titos Brille“ und somit der Filmzuschauer hat auf dem Beifahrersitz Platz genommen. „Wir könnten einen Abstecher nach Buchenwald machen“, schlägt sie vor und kostet aus, was sich jetzt an beklemmender Erwartung aufbaut, bevor sie selbst abwinkt. Der Besuch in einer KZ-Gedenkstätte kommt jetzt nicht, der kommt erst später im Film.
Dann hört man – während die Kamera auf das Schild zum Autobahnabzweig Buchenwald schwenkt – Altaras Stimme aus dem Off. Sie lobt die deutsche Vergangenheitsbewältigung, das können die Deutschen gut, so gut wie Autos bauen. Ihr Mercedes ist 35 Jahre alt, schon ihr Vater fuhr mit ihm. Wenig später, an einer Autobahnraststätte, muckt der Anlasser. Altaras muss bald die Dienste des ADAC in Anspruch nehmen.
Diese Szene ist in ihrem beiläufigen Herunterbrechen der Erinnerung an den Holocaust charakteristisch für Adriana Altaras: Mach es leicht. Lass die Zuschauer den Schrecken spüren, aber nicht zu sehr. Lass sie nicht erstarren in ihrer Betroffenheit, gib ihnen eine Chance, die Geschichte an sich ranzulassen. Daran arbeitet Adriana Altaras immer wieder, als Schauspielerin, Regisseurin, Autorin. Ihr ganzes Temperament, ihren Charme, ihren Witz, ihre Emotionalität setzt sie daran.
Von den Dibbuks, den Geistern der Toten, die den Lebenden keine Ruhe lassen, erzählte die Schauspielerin schon 1991 in dem Theaterstück „Jonteff“ im Theater zum Westlichen Stadthirschen. Weit über die freie Theaterszene hinaus bekannt wurde sie mit ihrer Familiengeschichte aber erst mit dem Roman „Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“, der 2011 erschien (bei Kiepenheuer & Witsch). Das Buch bildet die Vorlage für den Film der Regisseurin Regina Schilling. Die hat Adriana Altaras auf eine Reise geschickt, zu den Schauplätzen ihrer eigenen und der Geschichte ihrer Eltern.
Ihre Eltern stammen aus Zagreb, der Vater war Arzt und Radiologe, die Mutter Architektin. Als die Ustascha-Faschisten mit der Verfolgung der Juden beginnen, schloss sich ihr Vater den Partisanen um Tito an. Tito und ihr Vater Jakob waren Helden in Adrianas Kindheit. Im Film zieht sie sich dessen Partisanenuniform an und versucht Tito zu spielen in einer legendären Höhle der Partisanen. Ihre Söhne, die dabei sind, gucken skeptisch, die notorisch aufgedrehte Mutter ist ihnen peinlich.
Als ihre Eltern noch überzeugte Kommunisten waren, ließen sie ihre zweijährige Tochter in einem Film über die Partisanen mitspielen, der später jedes Jahr an Titos Geburtstag im Fernsehen lief. Partisanen finden das verlassene jüdische Kind, das sich als Einzige der Familie verstecken konnte. Dieser Filmausschnitt ist eines der vielen visuellen Dokumente, die es für Regina Schilling so nahelegten, aus dem Buch einen Film zu machen.
Adriana Altaras hat Koffer voller alter Super-acht-Filme von ihren Eltern geerbt, ein Schatz an bewegten Bildern. Jakob filmte seine Tochter oft, wahrscheinlich, vermutet diese heute, weil er sie so selten sah. Nachdem die Eltern nach Deutschland emigriert waren, von Titos Jugoslawien enttäuscht nach einem diffamierenden Prozess gegen den Vater, lebte Adriana erst bei einer Tante in Italien, dann in einem Internat in Deutschland. Und während man die lustigen Bilder sieht, hört man in ihrem Kommentar den Schmerz der Tochter, die sich nach mehr Zuwendung sehnte. So verschränken sich bei der filmischen Reise nach Italien und Jugoslawien nicht nur biografische und europäische Geschichte, sondern auch die Erinnerungen mit Kommentaren aus der Gegenwart, die lebhaft und spontan wirken. Als ob man neben Adriana Altaras auf dem Sofa säße und zusammen alte Super-acht-Filme schaute. KATRIN BETTINA MÜLLER
■ „Titos Brille“. Regie: Regina Schilling. Mit Adriana Altaras. Deutschland 2014, 94 Min. Läuft u. a. im FSK