Wählern fehlt die Alternative

JAPAN Trotz großer Unzufriedenheit zeichnet sich bei der vorgezogenen Wahl des Unterhauses ein erneuter Sieg des rechtskonservativen Shinzo Abe ab

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Stolz blickt Shinzo Abe auf dem Wahlplakat nach vorn. Der Slogan „Es gibt keinen anderen Weg“ wirbt für die Wirtschaftspolitik der Abenomics, die nach dem Regierungschef benannt ist. Ihre drei Elemente – lockere Geldpolitik, höhere Staatsausgaben, strukturelle Reformen – sollen die Wirtschaft zu alter Stärke führen, damit Japan im Wettbewerb mit China besser mithalten kann. Mit derselben Absicht will Abe die Atomkraftwerke weiter nutzen und die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern.

Tatsächlich ist es Regierung und Notenbank gelungen, die Deflation zu beenden und die Arbeitslosigkeit zu senken. Das erste AKW geht Anfang 2015 wieder in Betrieb. Aber eine Mehrwertsteuererhöhung würgte den Aufschwung ab. Daher hat Abe den zweiten Steuerschritt um anderthalb Jahre verschoben und die Japaner für Sonntag vorzeitig an die Urnen gerufen.

Seine Politik hat die Inselnation tief gespalten. Zum einen haben von Abenomics vor allem die großen Exportfirmen über die Abschwächung des Yen profitiert. Kleine Unternehmen und die Verbraucher leiden unter höheren Preisen für importierte Waren. Zum Glück für Abe lindern billigere Rohstoffe etwas die Schmerzen der Inflation. Andere Nutznießer sind die wenigen Aktionäre: Der Nikkei-Index hat sich in Abes Amtszeit verdoppelt. Laut Umfragen ist die Hälfte der Japaner mit Abenomics unzufrieden. Die Ökonomin Noriko Hama von der Doshisha-Universität in Kioto spricht dagegen von „Ahonomics“ oder „Idiotenwirtschaft“: Abe wärme nur alte Rezepte seiner Partei LDP zur Wirtschaftsbelebung auf.

Zum anderen beunruhigt viele Japaner die geplante Abkehr von der Nachkriegsordnung. Abe will die pazifistische Verfassung jetzt so auslegen, dass die Streitkräfte ihren Sicherheitspartner USA verteidigen und an UNO-Friedensmissionen teilnehmen können. Die vorgesehenen Änderungen lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung ab. Zwei Menschen protestierten dagegen gar mit Selbstverbrennung.

Widerstand hat auch das verschärfte Vorgehen gegen „Verräter“ vermeintlicher Staatsgeheimnissen ausgelöst. Am Mittwoch demonstrierten Hunderte gegen das Inkrafttreten des Gesetzes, das vor allem Journalisten trifft. Der linke Autor Kenzaburo Oe sieht die Nation bereits an einem „Wendepunkt“.

In das Bild eines Rechtsrucks passen die offiziellen Versuche, Japans Kriegsverbrechen wie die Versklavung von Frauen in Soldatenbordellen zu übertünchen. Die Beziehungen zu den Nachbarn China und Südkorea sind daher so schlecht wie nie.

Trotz des Widerstands zeichnet sich für Abes LDP ein Erdrutschsieg ab. Dieses paradoxe Verhalten der Japaner erklärt Axel Klein von der Universität Duisburg-Essen mit der Politikverdrossenheit sowie der Zersplitterung der Opposition. „Die Wahlbeteiligung wird auf ein neues Rekordtief fallen“, sagte der deutsche Japanexperte vorher. Das nützt den Regierungsparteien am meisten, da sie ihre Wähler leichter mobilisieren können. Der Politologe Tomoaki Iwai von der Nihon-Universität in Tokio spricht von einer „Wahl ohne Auswahl“: Die Opposition stellt nicht einmal in jedem Wahlbezirk Kandidaten auf.

Der Demokratischen Partei schlägt großes Misstrauen entgegen. Die Japaner haben ihre drei chaotischen Regierungsjahre vor Abe nicht vergessen. Ihr Chef Banri Kaieda stammt aus dieser Zeit. Auch fällt die liberale Zeitung Asahi als wichtige Stimme der Opposition aus, nachdem sie sich wegen falscher Berichte über Zwangsprostituierte im Weltkrieg und den Fukushima-GAU entschuldigen musste.