: KritikerInnen: Jungen haben kein Recht auf Unversehrtheit
RELIGION Betroffene und Kinderärzte wollen, dass Beschneidung von kleinen Jungen illegal wird
BERLIN taz | Ein Aufreger hat Geburtstag: Vor genau zwei Jahren verabschiedete der deutsche Bundestag das Beschneidungsgesetz. Am 12. 12. 2012 legalisierte der Deutsche Bundestag die medizinisch nicht indizierte Vorhautentfernung bei minderjährigen Jungen. Das war nötig geworden, weil das Kölner Landgericht im Mai desselben Jahres einem Jungen das Recht auf Unversehrtheit zugesprochen hatte.
Juden und Muslime demonstrierten wütend gegen die Einschränkung ihrer Religionsfreiheit, der Ethikrat tagte, der Bundestag debattierte und verabschiedete schließlich ein Gesetz, das die Beschneidung erlaubte. Hauptargument: Man könne Muslime und Juden in Deutschland nicht kollektiv zu Rechtsbrechern machen.
Übergangen wurden mit diesem Gesetz die Stimmen derer, die für die Unversehrtheit von Kindern eintraten: Kinderärzte, Kinderschutzbund, das Bundesforum Männer – Menschen, die sich damit auseinandergesetzt hatten, dass eine Beschneidung auch eine Traumatisierung sein kann, ein nicht notwendiger Eingriff ist, manchen Männern ihr Leben lang beim Sex Probleme macht. Sie forderten eine Diskussion über andere – weniger schmerzhafte – Formen der Initiation in die Religion. Zum Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes fordern nun einige Verbände erneut, das Gesetz zurückzunehmen. Mogis, ein Selbsthilfeverband für Betroffene, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und Pro Familia NRW sind dabei. Aber auch Intact, ein Verein, der sich vor allem gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen einsetzt, und die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes unterstützen die Forderung, die „Vorhautamputation“ zu verbieten. „Jungen haben durch diese Gesetzgebung im Gegensatz zu Mädchen kein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dies ist nicht hinnehmbar“, sagt Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Die KinderpolitikerInnen von Linkspartei, SPD und Grünen hatten 2012 vorgeschlagen, Kindern die Entscheidung über eine Beschneidung im religionsmündigen Alter von 14 Jahren selbst zu überlassen. Eine erneute Initiative hält die kinderpolitische Sprecherin der Grünen, Katja Dörner, angesichts der Mehrheiten für wenig erfolgversprechend. HEIDE OESTREICH