: Eine Hochzeit inklusive
Zwei Jahre hat Stephan Maria Rother, Kunstsammler und Fotograf, an einem Familienalbum des Kunstbetriebs gearbeitet: In „Berlin Art No 1“ sieht man Künstlern, Galeristen, Kritikern und Sammlern vor allem beim Feiern zu
„Und wenn die Leute für eine Seite über meine Arbeit 70 Euro kriegen, da kann ich keinem böse sein, wenn er nicht die Zeit hat, sich zwei Wochen damit auseinanderzusetzen. Ich hatte schon Sportreporter in meinem Atelier, weil der Kunstkritiker ausgefallen war“, sagt Franz Ackermann im Interview mit Heike Faller. So absurd diese Situation erscheinen mag – insgeheim möchte man die Zeitung beglückwünschen, die einen Sportreporter hat, der sich nicht scheut, einen Künstler im Atelier zu besuchen, und sei es, weil er darauf setzt, am Ende immer über Fußball reden zu können, was ja nicht die schlechteste Idee sein muss. Andere Zeitungen verzichten in einem solchen Fall gleich auf den Artikel.
Aber stopp! Nicht aus Angst, zu sehr aus dem Nähkästchen zu plaudern. Nein, mehr aus Furcht mit diesem Einsteig auf den Holzweg zu führen. Denn eigentlich geht es ja um Bilder; um Fotografien von Stefan Maria Rother. Seit Jahren ist der Fotograf, der in Magazinen wie Stern, Spiegel oder Focus veröffentlicht und große Werbeaufträge fotografiert, im Kunstbetrieb unterwegs. Zunächst als Sammler, schließlich auch als Fotograf, nachdem er 2005 gebeten wurde, das festliche Dinner beim Galerienwochenende aufzunehmen. Als ihn daraufhin das Berliner Art Forum exklusiv verpflichtete, die Kunstmesse zu dokumentieren, entwickelte sich die Idee, ganz generell die Berliner Kunstszene über einen längeren Zeitraum hinweg fotografisch zu begleiten. Damit hat sie jetzt, wie der Kunstkritiker Ludwig Seyfarth in seinem Beitrag zu „Berlin Art No. 1“ schreibt, ihr erstes Familienalbum.
Statt dem Sonntagsausflug gibt es das Art Forum, wo Stefan Maria Rother das Presseposing von Klaus Wowereit und Guido Westerwelle beobachtete oder den ganz ganz herzlichen Handschlag zwischen Berlins Innensenator Ehrhart Körting und dem Sammler Friedrich Christian Flick. Das Galerienwochenende steht dann für die Familienfeier, bei der „Onkel“ Arend Oetker endlich mal wieder die „Nichte“ trifft, Isabelle Graw, die sich als Herausgeberin der „Texte zu Kunst“ einen Namen gemacht hat. Selbstverständlich werden auch richtige Hochzeiten gefeiert wie die von André Butzer (Vater des Bräutigams aka Galerist: Max Hetzler, Berlin) und Maja Körner (Vater der Braut aka Galerist: Ben Kaufmann, München) in den Osram-Höfen. Und dann gibt es natürlich jede Menge Partys, wobei es die Ironie des Schicksals will, dass ausgerechnet der Kritiker und große Kunstbetriebsverweigerer Raimar Stange keine einzige auszulassen scheint. Oder ist das gar kein Zufall?
Mit Ausnahme der Künstlerporträts, die den Band eröffnen, scheinen die Fotos meist schnell aus der Hüfte geschossen. Hier und da ist das deutlich Absicht, doch öfter ist dieser Stil wohl der Situation geschuldet. In jedem Fall aber setzt Rother auf den Reiz einer reportagehaft imperfekten Fotografie, der Authentizität verspricht. Dieses Versprechen löst er auch ein, sofern es um die Abgebildeten und die abgebildeten Situationen geht.
Einen authentischen Einblick in das Berliner Kunstgeschehen gibt der Band freilich nicht. Dafür hat er zu viele Leerstellen. Die vielen Produzentengalerien, gar nicht zu reden von den Projekträumen in Kreuzberg oder Friedrichshain, kommen zum Beispiel nicht vor, und insbesondere die Institutionen fehlen, die viele der heute in Berlin lebenden Künstler erst in die Stadt brachten wie das Künstlerhaus Bethanien und der DAAD. Dass „Berlin Art No.1“ dennoch eine ziemlich runde Sache wurde, liegt an dem klugen Schachzug, die Fotos durch knappe, aber instruktive Texte von Jörg Heiser, Katrin Wittneven oder Niklas Maak zu ergänzen, und eben die Interviews, die die Zeit-Redakteurin Heike Faller mit Mona Hatoum und Franz Ackermann führte. Nicht direkt über Fußball.
BRIGITTE WERNEBURG
„Berlin Art No. 1“. Ein Fotobuch von Stefan Maria Rother. edition rotor, Berlin 2007, 146 Seiten, 25 €