Die Welle schürt Emotionen

FUSSBALL Der FC St. Pauli plant eine neue Gegengerade. Zwei unterschiedliche Entwürfe konkurrieren. Der eine sieht eine futuristische Tribüne in Wellen-Form vor – und löst eine Debatte aus

„Der Reiz ist, etwas Unverwechselbares zu erschaffen.“

GERNOT STENGER, VIZEPRÄSIDENT

Am Ende lagen sich alle in den Armen: Durch ein Tor in der 93. Minute besiegte der FC St. Pauli am Montag den MSV Duisburg 2:1 und erklomm die Tabellenspitze in der 2. Bundesliga. Noch mehr Anlass zu Diskussionen als das glückliche Happy End gab unter den Fans aber die Präsentation zweier Entwürfe für den Neubau der Stadion-Gegengerade, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Während die eine Variante konservativ und funktional wirkt und sich ins Gesamtbild eingliedert, mutet die andere futuristisch an. Eine Tribüne in Wellenform wäre weltweit einzigartig. An der Frage, ob ein solcher Bau zum Millerntor-Stadion und zum FC St. Pauli passt, scheiden sich jedoch die Geister.

Aus eigenem Antrieb begann das Hamburger Kreativlabor Interpol vor einigen Monaten mit dem Entwurf der Welle. „Wir sind seit Jahrzehnten Fans des FC St. Pauli, deshalb liegt mir die Gegengerade am Herzen“, sagt der Interpol-Gründer Lars Rühmann. Seit 20 Jahren steht er selbst regelmäßig auf dieser Tribüne.

Vor sechs Wochen legte Interpol dem Vereinspräsidium den Entwurf vor. Dieses beauftragte die Kreativen, gemeinsam mit dem Frankfurter Ingenieurbüro OSD und dem Architekturbüro Werkstatt Zwei die Pläne auszuarbeiten.

Der Entwurf sieht eine in Schwarz gehaltene Gegengerade vor, die sich in Richtung Spielfeld aufbäumt. In vier Rängen sollen 11.000 Steh- und 3.000 Sitzplätze entstehen. Das Bauwerk würde 27 Meter hoch, womit es die bereits fertiggestellten Süd- und Westtribünen um sieben Meter überragte. Die Welle wäre rund 1.5 Millionen Euro teurer als der alternative Entwurf, den das Dortmunder Architekturbüro Arteplan erarbeitet hat. Der Preis beider Tribünen wird bis Mitte September berechnet.

Das fünfköpfige Vereinspräsidium des FC St. Pauli ist sich offenkundig derart uneinig, welchem Projekt der Vorrang eingeräumt werden soll, dass die Diskussion schon früh in die Öffentlichkeit getragen wurde. Vizepräsident Gernot Stenger zählt zu den Befürwortern der Welle. „Wir müssen zwar nicht um jeden Preis anders sein als alle anderen Vereine“, sagt er. „Doch der Reiz, etwas Unverwechselbares zu erschaffen, besteht durchaus. Denn wir sind der FC St. Pauli und nicht Aachen, Mainz oder Duisburg.“ Etwas kritischer äußert sich Michael Meeske, Geschäftsführer der Millerntor-Stadionbetriebsgesellschaft: „Am Ende entscheidet die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit.“

So umstritten die Welle in den Vereinsgremien ist, so hohe Wogen wirft sie unter den Fans. In Internetforen wird die Frage nach der richtigen Tribünenbauweise zur Glaubensfrage stilisiert. Gegner der Welle befürchten eine kaum zu kontrollierende finanzielle Belastung und sprechen von der Gefahr einer zweiten Elbphilharmonie; die Welle halten sie für einen PR-Gag, den ein Kultverein wie St. Pauli nicht nötig habe. Die Befürworter argumentieren ähnlich – aber in die andere Richtung: Gerade weil der Klub speziell sei, hätten die Fans auch eine Gegengerade verdient, die ihresgleichen sucht. DENNIS BÜHLER