Zurück nach vorn

Die Bezirksversammlung Mitte arbeitet daran, die Live-Musikclubs auf der Reeperbahn wieder nach vorn zu bringen. Und schuf dafür eigens eine Koordinierungsstelle, die seit Anfang August besetzt ist

Nach einer Studie der Handelskammer stehen Clubs mit Live-Musik auf Platz eins der Wunschliste der Kiez-Besucher

VON KLAUS IRLER

Selten, dass Pop-Musik so ernst genommen wird. Dass wegen ihr Politiker, Clubbesitzer, Verbände und die Handelskammer zusammenkommen, und zwar nicht nur einmal, sondern kontinuierlich. Und das mit dem Ziel, dass es der live gespielten Pop-Musik am Ende besser gehen soll.

Das alles passiert auf St. Pauli, und womöglich ist der Nenner, auf dem sich alle Treffen, die Tradition. Schließlich gab es die Beatles, die von St. Pauli aus ihre Karriere starteten und nächstes Jahr an der Ecke Reeperbahn/Große Freiheit einen eigenen Platz bekommen sollen (taz berichtete). Seitdem steht das musikalische Kreativ-Potenzial des Stadtteils hoch im Kurs. Gleichzeitig aber gibt es seitens der Bezirksversammlung Mitte den Befund, dass es die Livemusik-Kultur auf dem Kiez immer schwerer hat: Die Reeperbahn drohe durch immer mehr Supermärkte zu veröden. Außerdem seien die steigenden Mieten ein Problem, sowie die zunehmenden Konflikte mit Anwohnern und Immobilieneigentümern in Sachen Lautstärke. Ferner klagen die Clubs über mangelnde Gelegenheiten zur Plakatwerbung und fordern mehr Flächenanteil bei der Hamburger Außenwerbung.

Die Rahmenbedingungen für Live-Clubs müssten verbessert werden, fanden die Fraktionen von SPD und GAL der Bezirksversammlung, gaben ein Gutachten in Auftrag, luden zu einem Workshop und einem runden Tisch. Und machten Geld locker für die Zwischenfinanzierung einer neuen Stelle, die ganz im Dienst der Förderung des Musikstandorts St. Pauli steht. „Die Clubs sind für die Identität von St. Pauli enorm wichtig. Sie sind der Nährboden für die Musikszene in Hamburg“, sagt der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Mitte, Andy Grote.

Am 1. August also hat Sandra Reershemius, vorher tätig bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, den Job angetreten. Ihre Aufgabe wird sein, zwischen den verschiedenen Interessengruppen auf St. Pauli zu vermitteln und die weiteren Anstrengungen zu koordinieren: Im Herbst soll es einen zweiten runden Tisch geben, außerdem soll ein Vorschlag gemacht werden, wie welche Ziele mit dem Bauplanungsrecht auf St. Pauli umgesetzt werden können. Hier stehen Kategorien wie allgemeines Wohngebiet, Kerngebiet oder Gewerbegebiet im Hinblick auf Live-Musikkultur gegeneinander.

Stützen wird sich die Arbeit von Reershemius unter anderem auf ein 70-seitiges Gutachten zum Musikstandort St. Pauli, das seit Oktober 2006 im Umlauf ist. Darin wird unter anderem ein „Mangel an akteursgruppenübergreifender Kommunikation“ festgestellt. Empfohlen wird hinsichtlich der vielen beteiligten Behörden, dass die verschiedenen Genehmigungsvoraussetzungen „in einem Verfahren von einer Verwaltungsstelle im Bezirk Mitte erteilt werden“. Für den Lärmschutz finden die Gutachter Birnkraut und Partner außerdem eine Beschwerdestelle außerhalb der Behörde „überlegenswert“.

Aber das ist erst einmal Zukunftsmusik. Die wiederum begleitet wird unter anderem von der Handelskammer: Die nämlich findet, dass St. Pauli „längst noch nicht so vermarktet wird, wie man sich das wünschen würde“, sagt Günter Dorigoni, Leiter der Tourismus-Abteilung. Im Herbst soll es ein erstes Konzept für das Marketing von St. Pauli geben.

Grundlage dafür ist eine Studie, bei der die Handelskammer 2.569 Reeperbahn-Besucher gefragt hatte, welche weiteren Angebote sie sich auf St. Pauli wünschen würden. 33,9 Prozent der Befragten nannten „Clubs mit Live-Musik“ – Platz eins der Wunschliste vor Kabarett (21,2 Prozent) und gehobener Gastronomie (19,8 Prozent).