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Archiv-Artikel

„An der Größe liegt es nicht“

Länder wie Bremen sollen – nach amerikanischem Vorbild – Insolvenz anmelden können, fordert der Wirtschaftsprofessor Kai Konrad. Dann wäre das Land auch für seine Schulden selbst verantwortlich

KAI A. KONRAD, 46, ist Direktor der Abteilung „Marktprozesse und Steuerung“ am Wissenschaftszentrum Berlin und seit 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Im Ökonomen-Ranking des Handelsblattes liegt er auf dem zweiten Platz der „Top 100-Forscher“ in Deutschland, gilt als einer forschungsstärksten deutschen Volkswirte. Konrad ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Finanzen.

Interview Jan Zier

taz: Müsste Bremen nicht lange schon Insolvenz anmelden?

Kai Konrad, Freie Universität Berlin: Im Moment ist das in Deutschland nicht vorgesehen. Gut ist das aber nicht.

Warum?

Bremen kann sich auch dann noch verschulden, wenn es eigentlich schon pleite ist. Denn in letzter Konsequenz steht die Bund-Länder-Gemeinschaft immer hinter Bremen. So ist die Rechtslage, und so interpretieren das auch die Gläubiger. Dem Kreditgeber kann also egal sein, wie hoch Bremen schon verschuldet ist. Bremen bekommt zu den gleichen Konditionen Kredite wie Bayern, selbst wenn es die Zinsen nicht mehr bedienen kann.

Bremen hat zwar über 14 Milliarden Euro an Schulden, gilt aber als weiterhin als ausgezeichneter Schuldner.

Ja. Deswegen muss man die Haftungsgemeinschaft von Bund und Ländern aufbrechen und die Kreditnehmer selbst verantwortlich machen. Denn die Schulden in Bremen führen ja auch dazu, dass die Kredite aller anderen Länder teurer werden – ohne, dass die sich dagegen wehren könnten.

Wollen Sie, dass Bremens Kredite noch teurer werden?

Nein. Optimal wäre, wenn jedes Land das Recht hätte, sich zu verschulden – und die Pflicht, dafür auch geradezustehen. Und wenn das Land überschuldet ist, muss es dann auch Insolvenz anmelden können, ähnlich wie ein Unternehmen.

Und was passiert dann?

Die Gläubiger könnten ihre Forderungen erst einmal nicht mehr durchsetzen, könnten in Bremen nichts pfänden, nicht auf die Bankkonten zugreifen. Es müsste dann eine Art Insolvenzverwalter eingesetzt werden, der einen Vergleich Bremens mit den Bürgern und den Gläubigern herbeiführt. Dann müsste die Frage geklärt werden, wie viel Tilgung sich Bremen leisten kann und wie viel man Bremen abverlangen muss, ohne dass es drunter und drüber geht.

Droht dann nicht der völlige Ausverkauf der Stadt?

Nein. Das Verfahren soll ja die Sanierung des Landes ermöglichen. Auf Vermögenswerte sollten die Gläubiger keinen Zugriff bekommen. Der Schutz vor den Gläubigern muss sogar noch umfassender sein als bei Privatpersonen. Denen nimmt man im Insolvenzfall nicht alles, aber sehr viel ab.

Auf Bremen übertragen heißt das: Das Rathaus dürften sie behalten, die Gewoba nicht?

Die Dienstgebäude, Versorgungsbetriebe oder die Ansprüche von öffentlich Bediensteten sind nach meinem Dafürhalten nicht veräußerbar. Ich plädiere dafür, den Schutz des Landes und seiner Bürger vor den Kreditgebern sehr weit zu fassen. Die Insolvenz soll ja nicht dazu dienen, die Gläubiger möglichst gut zu bedienen. Die Gläubiger müssten gezwungen werden, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten, damit sich das Land möglichst schnell aus seinen Schulden freischwimmen kann. Wo genau man die Grenze der Belastung zieht, ist letztlich eine politische Frage. Auch bei Privatinsolvenzen gibt es ja Unterschiede: In einigen Staaten der USA ist man da generöser als bei uns in Deutschland.

Großzügig bemessene Standards wären im Falle Bremens kaum zu erwarten.

Dass muss nicht so sein. Man sollte den Ländern einen Maximalschutz gewähren. Es kann nicht angehen, dass die nächste Generation von Bürgern die Zeche dafür zahlt, dass die Politik heute verantwortungslos handelt. Es kann aber auch nicht sein, dass Gläubiger ein Land mit Krediten vollpumpen – ohne darauf zu gucken, ob es die auch zurückzahlen kann. Kreditgeber müssen sorgfältiger werden, wenn es darum geht, einem Land einen Kredit zu geben. Dann hat auch das Problem der übermäßigen Staatsverschuldung ein Ende.

Aber es werden doch nicht nur Schulden, sondern auch Vermögenstitel vererbt.

Die Idee „We owe it to ourselves“ hat eine hohe Suggestivkraft, ist aber falsch. In der Bilanz gleichen sich Soll und Haben, Schulden und Vermögen gerade aus. Aber es ist doch zweierlei, und verteilt sich auch sehr ungleich. Die Umwandlung der Privat- in Staatsvermögen zur Schuldentilgung würde ja bedeuten, dass man die Menschen entsprechend besteuern muss. Dem kann man aber ausweichen, gerade in einem kleinen Land wie Bremen. Die Leute können einfach mit ihrem ganzen Vermögen weggehen und ihre Forderungen von woanders einklagen.

Wäre die Insolvenz von Ländern nicht in erster Linie ein Drohpotenzial?

Es wäre eine Schuldenbremse.

„Bremen kann sich auch dann noch verschulden, wenn es eigentlich schon pleite ist“, sagt Kai Konrad, „gut ist das aber nicht“

Gibt es denn Vorbilder aus dem Ausland?

Ja, in den USA und in Kanada. Es ist aber fast nie zu einem Insolvenzfall gekommen. Das spricht für die Regelung. Wir sollten es nur einfach auch mal probieren. Die politische Gestaltungsmacht im Bundesrat und Bundestag dafür ist ja vorhanden.

Würden die Länder nicht sofort Schlange stehen, um Insolvenz anzumelden?

Es gibt ein paar, die sofort Insolvenz anmelden müssten, oder nah dran wären. Dazu gehört auch Bremen. Die Altkredite müssten deshalb in jedem Fall in der Haftungsgemeinschaft von Bund und Ländern verbleiben. Und Bremen müsste sie im Lauf der Zeit abtragen, oder das Wachstum erledigt das Problem irgendwann von alleine. Zugleich müssten diese Altschulden bei einer Insolvenz vorrangig bedient werden. Dann würde ein überschuldetes Land nicht weiter mit zusätzlichen Krediten vollgepumpt werden.

Was kann der Markt, was die Solidargemeinschaft nicht kann?

Die Solidarität besteht darin, dass einige munter ausgeben, und dann zum Verfassungsgericht gehen und sagen: Wir brauchen mehr. Bremen ist kein einfacher Haftungsfall nach dem Motto: Mein Haus ist abgebrannt, bitte helft mir mal. Dass ein Land trotz immenser Sanierungshilfen neue Hilfen beantragen muss – das sieht nicht gesund aus.

Ist Bremen zu klein, um selbständig zu wirtschaften?

Ich vermute: An der Größe liegt es nicht. Aber die Diskussion um die Reform der Länder im Zusammenhang mit der Verschuldung habe ich sowieso nie verstanden. Warum soll ein gesundes Land ein überschuldetes Land absorbieren?