Umstrittenes Understatement

Mit einer Guerilla-Aktion protestieren Unbekannte gegen eine Imagekampagne der Stadt Osnabrück. Ein Bündnis namens „Bürger gegen Plattitüden“ findet die kokette Werbung mit der fehlenden Größe entbehrlich. Deren Initiatoren freuen sich

von KAI SCHÖNEBERG

Die Resonanz war groß. Bis hin nach Süddeutschland berichteten die Medien über die neue Kampagne von der Hase: Seit zwei Wochen bereits macht Osnabrück sich klein. Sieben sechs mal zwei Meter große Banner hängen in dem 160.000 Einwohner großen Ort: „Willkommen im Weltstädtchen“ an der Einfallsstraße, „Capitölchen“ am Rathaus, „Scalalein“ am Theater, am Fußballstadion des VfL prangt „Hexenkesselchen“. Am Wochenende konterten bislang Unbekannte diese Imagewerbung – mit einer Gegenkampagne.

„Ganz schön blödchen“, steht auf den rund 100 Aufklebern, mit denen Laternenpfähle, Mülleimer und Stromkästen in der Osnabrücker Innenstadt zugepflastert wurden. Die Werbung sei „ehrlich entbehrlich“, heißt es auf den Aufklebern – eine Anspielung auf „herrlich ehrlich“, den Slogan der offiziellen Kampagne. Hinweise auf den Urheber der Aktion sind spärlich. Gezeichnet sind sie mit „Bürger gegen Plattitüden“. Die Lokalzeitung schreibt von einer „ungewöhnlichen Guerilla-Aktion“.

„Sie haben auch die ganze Tourist-Information zugekleistert“, sagt Oliver Mix, der als Chef der Osnabrücker Marketing- und Tourismus-Gesellschaft hinter der städtischen Kampagne steckt. Einen nahe liegenden Verdacht weist er sogleich von sich: Man wisse ja das Sommerloch geschickt zu füllen, „aber wir waren es nicht“. Allerdings sieht er durchaus „Professionelle“ am Werk: Die Aufkleber sind vom Layout her getreue Kopien der Ursprungs-Kampagne, die insgesamt 280.0000 Euro kosten soll. „Außerdem sind sie abziehbar, da hat sich jemand schon was bei gedacht.“ Eine Anzeige werde man nicht erstatten, sagt Mix, aber: „Wir warten aufs Bekennerschreiben.“ Und nicht zuletzt fühlt Stadtvermarkter sich sogar „geehrt“ durch die Verballhornung seiner niedlichen Kampagne. Die hatte aus der Not der Randlage Osnabrücks im Westen der Republik eine Tugend machen sollen.

In der Stadt selbst hatte die Masche mit den Mini-Superlativen zuvor aber keineswegs nur Freunde gefunden: Ganze Leserbriefseiten widmete die Neue Osnabrücker Zeitung dem Thema. Da schrieb der Präsident der Universität Osnabrück erleichtert, zum Glück sei es ihm gelungen die Bezeichnung „Oxfördchen“ für seine Hochschule zu verhindern. Osnabrück mache sich zum „Kasperletheater der Republik“, wüteten die einen, die Verantwortlichen seien „von allen guten Geistern verlassen“, die anderen.

„Nur noch peinlich“, findet es auch Norbert Drogies, wenn zum Beispiel das Heger Tor per Banner zum „Brandenburger Törchen“, die Hase zum „Canale Grandchen“ mutiert. Die „Gags“ seien „unseriös“ und „niemandem verständlich“, gar „an den Haaren herbeigezogen“, sagt Drogies, selbst Inhaber einer Werbeagentur. Osnabrück habe doch auch „eigene Stärken“, die eine Kampagne hervorheben müsste, sagt der PR-Experte. Kollegen aus der gesamten Republik hätten ihm gegenüber bereits den Daumen nach unten gesenkt. Drogies: „Es tut einfach weh.“

„Der PR-Effekt ist unbezahlbar“, meint dagegen Peter Hagenhoff, der Erfinder der „Weltstädchen“-Kampagne, mit Blick auf die Anti-Aktion. Den Presserummel, den die neuen Aufkleber verursachten, hätten die Urheber „bestimmt nicht gewollt“, erklärt der Werber. Seine eigene Kampagne nimmt Hagenhoff in Schutz: „Wir hätten auch ‚Wir sind die tollste Stadt am Teutoburger Wald‘ nehmen können – aber das machen schon 48 andere“, sagt Hagenhoff. Auch den Slogan der Konkurrenzstadt – „Oldenburg hat was“ – findet er schwach. „Immerhin hat sich da noch keiner drüber beschwert.“

Für Kontroversen vor Ort habe auch die Vorbild-Kampagne der Osnabrücker „Wir können alles. Außer hochdeutsch“ aus Baden-Württemberg, gesorgt, sagt Hagenhoff. In der Tat setzt inzwischen auch das Land Niedersachsen auf Schmunzel-Understatement: „Mag sein, dass Bayern katholischer ist. Aber bei uns gehen mehr zur Messe.“ Die Kunst bei den Osnabrücker Slogans sieht Hagenhoff darin, Regeln zu brechen: Wer sich auf die Stadt einlasse, werde merken, dass hinter Osnabrück „Substanz steckt“, sagt er. Und verneint ebenfalls, sich für den „Blödchen“-Streich zu verantworten. Vielmehr hätten die Unbekannten am Wochenende auch das Adressschild seiner Agentur verunstaltet: Durch einen Aufkleber mit der Aufschrift „Jung van Mattchen“. Diese Anspielung auf eine große Hamburger Werbeagentur, sagt Hagenhoff, „adelt uns natürlich besonders“.