Kampf dem haarigen Giftpfeilköcher!

Die Biodiversität hat es wieder auf die Agenda der Politik geschafft. Aber muss wirklich jede Art überleben? Ach was, meinen taz-RedakteurInnen. Manche Lebewesen wollen wir einfach nicht haben. Zum Beispiel die Raupen des Prozessionsspinners

Im letzten Dezember verschwand der Chinesische Flussdelfin, im Jahr 2000 war es der Pyrenäen-Steinbock, 1980 hatte es den Java-Tiger erwischt. Und das sind nur die prominenten Beispiele. Fast unbemerkt werden in den nächsten 100 Jahren, so schätzen Wissenschaftler, 30 bis 50 Prozent aller Arten verschwinden. So ein Massensterben hat es seit dem Tod der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren nicht mehr gegeben. Dabei werden die meisten Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen ausgestorben sein, bevor der Mensch sie entdeckt hat: Denn bislang sind 2 Millionen Arten bekannt, 10 bis 30 Millionen soll es aber geben. Im Mai 2008 werden in Bonn 5.000 Politiker und Experten darüber streiten, wie seltene Pflanzen und Tieren weltweit geschützt werden können. Die Bundesregierung ist Gastgeber dieser UN-Biodiversitätskonferenz. Und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will schon bis September eine nationale Biodiversitätsstrategie entwickeln. Derzeit „löschen wir die Daten der Natur von der Festplatte“, sagt er. Aber mal ehrlich: Auch wenn jede Kreatur eine Daseinsberechtigung hat, weil sie für reines Trinkwasser sorgt, Schädlinge frisst, den Boden lockert oder Arzneien liefern könnte – es gibt doch auch Arten, bei denen es uns schwer fällt, sie lieb zu haben, und die gern verschwinden dürften. Zumindest aus unserer Nähe. In einer politisch völlig unkorrekten Sommerserie „Biodiversität? Ach was!“ machen taz-RedakteurInnen der Evolution schon mal ein paar Vorschläge. Vielleicht hat sie ja ein Einsehen.

VON BEATE WILLMS

Der Name sagt schon alles: der „gefährliche Prozessionsspinner“. Das klingt durchgeknallt, fanatisch, nicht aufzuhalten. Und tatsächlich lassen sich die Eichenprozessionsspinner und vor allem ihre Raupen auch nur in komplett geschlossenen Schutzanzügen und mit Flammenwerfern oder riesigen Staubsaugern bekämpfen. Zumindest, wenn sie einen Eichenwald in einem Naherholungsgebiet oder gar Bäume in bewohnten Gebieten befallen haben. In Frankfurt am Main mussten bis vor kurzem alle sieben Waldspielparks geschlossen gehalten werden. Dörfer in Nordrhein-Westfalen sperrten ihre Paradewiesen sogar für Schützenfeste.

Derzeit treiben sich die Falter laut der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch östlich der Elbe in Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie weiterhin in Hessen und Nordrhein-Westfalen herum. Besonders fies: Mit ihren hellgrauen Flügeln von gerade mal 25 bis 30 Millimeter Spannbreite sind sie auf infame Weise unscheinbar– zumal sie auch noch nachts fliegen. Dann suchen sie sich die schönsten Plätze in den schönsten Eichen. Dort legt das Weibchen nach dem Hochzeitsflug bis zu 300 Eier ab – und lässt dem Unheil in Gestalt der Raupen seinen Lauf.

Die sind stark behaart und auch sonst hässlich in einem Gelbbraun gefärbt, das sich später in ein ebenso abstoßendes Schwärzlichblaugrau verwandelt. Sie interessieren sich ausschließlich für den deutschesten aller Bäume – Blätter anderer Pflanzen fressen sie nicht. Um die Eichen allerdings muss man sich nicht sorgen, auch wenn sie komplett kahl gefressen sind, können sie neue Triebe bilden. Den Rest ihres Namens haben die Tiere ihrer Angewohnheit zu verdanken, in wohlgeordneter Formation die Rinde der angepeilten Bäume hinaufzuprozessieren und sich später in dichten weißen Gespinsten zu verpuppen, die dann wie flusige Geister in den Zweigen hängen.

Das Problem sind die giftigen Härchen der Raupen, die mikroskopisch klein sind und offenbar eingebaute Sollbruchstellen haben. So bleiben sie nicht nur in allem hängen, was sie berührt, abgebrochene Haare können auch hunderte Meter weit vom Wind verweht werden. Trifft ein solch winziger Giftpfeil auf menschliche Haut, spult sich das ganze Programm ab: Quaddeln, Entzündung, Knötchen. Noch schlimmer, wenn das Haar eingeatmet wird: Dann kann es lebensbedrohliche Asthmaanfälle verursachen. Die Raupenbekämpfer tragen deshalb nicht nur geschlossene Anzüge, sondern auch Atemmasken mit feinen Filtern.

Das braucht keiner, das will keiner, das nervt. Egal, ob die Raupen in irgendeiner Nahrungskette irgendeine Rolle spielen: Wenn die Natur weiterhin nicht einsehen will, dass die Welt die Viecher nicht braucht und künftig gleich die harmlosen Schmetterlinge aus den Eiern schlüpfen lässt, gibt es nur eins: Feuer frei! Flächendeckend.