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Die ehrliche Haut

Wolfgang Jüttner will für die SPD die Wahl in Niedersachsen gewinnen. Jetzt tourt er durchs Land, um sich bekannter zu machen. Ein schwerer Gang

DIE LANGE ZWEITE GARDE

1977 überließ er Gerhard Schröder den Vortritt für das Amt des Juso-Bundeschefs, 1999 konnte sich der damalige Umweltminister Wolfgang Jüttner beim Kampf um das Ministerpräsidentenamt nicht gegen Sigmar Gabriel durchsetzen. Seit dem Herbst 2005 ist der in Lüdersfeld im Kreis Schaumburg geborene Soziologe und Lehrer Fraktionschef der SPD im niedersächsischen Landtag. Nach langen Querelen wurde Jüttner am 30. Juni in geheimer Wahl mit 97,4 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidat der Niedersachsen-SPD gekürt. Jüttner ist verheiratet und hat eine Tochter. In seiner Freizeit spielt er gerne Tischtennis und joggt.  KSC

VON KAI SCHÖNEBERG

Volles Haus im Erntefestzelt in Osterholz: Mehr als 500 meist Ältere wollen an diesem Montag Nachmittag der Glantaler Blasmusik-Kapelle lauschen. Korn und Bier stehen auf den Tischen, der Kandidat steht eher auf Fleetwood Mac oder Klassik, weniger auf den Kärtner Liedermarsch. Wolfgang Jüttner sitzt eingekesselt von Osterholzer Honoratioren am Tisch, klatscht bisweilen gequält, seine Hand verdeckt Mund und Schnäuzer, als ob er zum Musikantenstadl im Bremer Speckgürtel jetzt lieber nichts sagen würde.

In der Wahlkampfzentrale haben sie überlegt, ob der Spitzenkandidat, der in gut fünf Monaten gegen CDU-Ministerpräsident Christian Wulff antreten soll, einfach eine Runde sozialdemokratisches Freibier im Festzelt schmeißt – zu teuer. Und so winkt Jüttner kurz, als er knapp als „SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag“ vorgestellt wird. Magerer Beifall, Jüttner stiehlt sich ohne Rede davon. Eigentlich hat niemand gemerkt, dass der Hoffnungsträger der Niedersachsen-SPD da war. Nur einer von Dutzenden Terminen, durch die sich Jüttner dieser Tage auf seiner Sommertour quält, damit ihn der Wähler kennen lernt: Besuch im Bioenergiedorf Jühnde, in Osterode im Harz, gestern bei MAN in Salzgitter, heute am Seelzer Rangierbahnhof.

Viel wird derzeit geredet über die Wahlen, die Vorboten für den Bund im Jahr 2009 sein sollen, viel über Michael Naumann in Hamburg und Andrea Ypsilanti in Hessen, die für die SPD das Ruder in den einstigen Stammländern herumreißen könnten. Der Name Jüttner und das SPD-Stammland Niedersachsen fallen dabei selten.

Gerade zwei Drittel der Wähler wissen, wer der Mann ist, dem sie am 27. Januar ihre Stimme geben sollen. „Für einen Landespolitiker ist das viel, für einen Spitzenkandidaten zu wenig“, sagt Wolfgang Jüttner. Er hätte im Festzelt Rampensau spielen können, er hätte mitbieten können bei der Diskussion um mehr Geld für ALG II-Empfänger, die gerade in den Nachrichten tobt. Er könnte sich gegen den Bau der Bahnstrecke namens Y-Trasse zwischen Hamburg, Bremen und Hannover aussprechen, gegen den Bau der 380 Kilovolt-Stromleitung im Süden Niedersachsens poltern, wenn er die Bürgerinitiative besucht. Er müsste auch nicht mit Kurt Beck auftreten, um sich nicht von den grauslichen Werten des SPD-Chefs herunterziehen zu lassen. Mit Stänkereien gegen Berlin haben sich seine Vorgänger, die Rampensau Gerhard Schröder und der Volkstribun Sigmar Gabriel damals im Bund bekannt gemacht.

Aber Wolfgang Jüttner geht an diesem Abend zum Sommerfest mit Beck in die Parteizentrale in Hannover, lässt sich natürlich von Beck eine rote Kaffeemaschine schenken, „zum Wachmachen“, wie der dauergrienend sagt. „Wie viel der Integrität ist man bereit aufzugeben?“, fragt Jüttner, als sein Tross von einem Pflegeheim in Zeven zu einer Zeitungsredaktion in Osterholz-Scharmbeck fährt. Jüttner bleibt Jüttner. Ein linker Sozialdemokrat, wärmend und unverbogen. Egal, dass ihn in der SPD viele der Beisshemmung bezichtigen. Wichtig ist, dass die Niedersachsen ihn für glaubwürdig halten. Dass die 700.000 SPD-Wähler, die 2003 nicht zu den Urnen gegangen sind, wieder kommen, weil er für den sperrigen SPD-Slogan „niedersachsengerechter“ steht. Für die gemeinsame Schule, für das Ende der Studiengebühren, für Gratis-Krippen. „Es wär doch blöd“, sagt Jüttner, „wenn die sagen, den kenn’ ich, der ist aber ’ne blöde Sau.“

So würde er seinen Kontrahent nie nennen. Jüttner sagt „Anscheinserwecker“, weil der CDU-Bundesvize Wulff beim Rauchverbot mal für Hü, mal für Hott war, weil Wulff sich mit Sarah Connor trifft, um Kängurus zu taufen. „Kängurus würden Wulff wählen“, sagt Jüttner, schmunzelt und kämpft um das Image des ehrlichen, symphatischen Maklers. Nun ist der Ex-Umweltminister 59. Die Wahl ist seine letzte Chance.

Immerhin: Er kann kaum verlieren, weil das desaströse Ergebnis von 2003 kaum zu unterbieten ist. Damals war die SPD um 14,5 auf 33,4 Prozent abgeschmiert, die CDU legte fast genauso so viel auf 48,3 Prozent zu. Derzeit sehen seriöse Umfragen die CDU bei 43, die SPD bei 34 Prozent. Falls die Linke in den Landtag kommt, könnte es jedoch knapp für Schwarz-Gelb werden. Über eine große oder gar eine rot-rot-grüne Koalition mag der Kandidat aber nicht reden, er will ja die Mehrheit. Jüttner: „Warum nicht eine Ampel?“

Ob er die Wechselstimmung schon spürt? „Jein“, sagt Ralf Borngräber. Borngräber ist Landkreischef in Rotenburg / Wümme, Landtagskandidat und noch so eine ehrliche SPD-Haut. Er erwartet die Jüttner-Truppe an diesem Morgen auf dem Rotenburger Markt. Laut Tour-Kalender ist nun ein „öffentlicher Gesprächstermin für Bürgerinnen und Bürger“ geplant, aber es gibt keine SPD-Schirme, keine SPD-Broschüren, keine Bürger. Als der Kandidat durch die City trottet, schaut keiner hin. Auch in Rotenburg, auch bei diesem Termin, fällt das Bad in der Menge aus.

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