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Archiv-Artikel

Der Platz in der Wanne

Arschbomben mit Migrationshintergrund: Ob im Kreuzberger Prinzenbad oder an den Stränden von Istanbul, schuld sind immer die Zugezogenen, wenn die Ruhe beim Baden flöten geht

VON ANTONIA HERRSCHER

Die Zeitungen berichteten letzte Woche von Rüpeleien im Prinzenbad. Im Berliner Kurier war von „Sex-Anmachen übelster Sorte“ und schwerer Randale die Rede: „Den Ärger haben wir mit den Türken und Arabern“, wurde der Badebetriebsleiter zitiert. Einen Tag später hieß es, die Politiker fordern, das Bad trockenzulegen, um nach der Idee des Innen- und Sicherheitsexperten der CDU Kurt Wansner „bei den Machos einen Denkprozess anzuregen“. Und der Kreuzberger CDU-Chef Wolfgang Wehrl sagt: „Das Maß ist voll! Frauen trauen sich da kaum noch hin. Im Tagesspiegel nimmt der Autor des Buches „Prinzenbad – 50 Jahre Eintauchen in Kreuzberg“ Matthias Oloew seine rosa Brille ab: „Das Bad droht zu entgleiten“, die Stammschwimmer würden aufgrund der Rüpeleien von „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ zum schicken Badeschiff nach Treptow abwandern.

An einem Nachmittag darauf sitze ich mit meinem Istanbuler Freund Doruk am Beckenrand, und wir wundern uns. Im Bad befinden sich mehr Journalisten als Badegäste und zusätzlich Polizisten in Badehose, „um sich ein Bild zu machen“. In der schmeichelhaften Nachmittagssonne wird gerade der Badeleiter fotografiert. Dem Schwimmmeister an unserem Becken folgt eine Jungjournalistin mit Riesensonnenbrille, während sich ihre Kollegin mit einem Monsterobjektiv auf die Suche nach Arschbomben mit Migrationshintergrund macht.

Mittlerweile hat sich das Bad mit den „Spätschwimmern“ gefüllt. Hier, wo „junge Frauen keinen Schritt tun können, ohne dumm angequatscht zu werden“ (Tagesspiegel), bevölkern nun vor allem Oben-ohne-Sonnenanbeterinnen die Terrasse am Kaltbecken. Die Jugendlichen nehmen davon wenig Notiz. Nur hin und wieder springt der Bademeister für die Journalistin auf, um etwa einen Jungen zu schelten, der mit seiner klatschnassen Badehose über die anderen Gäste hüpft.

Ich versuche mich krampfhaft zu erinnern, ob ich hier jemals eine „Vollverschleierte“ habe baden sehen, was hier angeblich an der Tagesordnung ist, kann mich aber nicht erinnern. Neben uns versammeln sich einige arabeske Zwölfjährige und tropfen auf meine Tasche.

Ich erinnere mich, dass im Sommer 2004 die Kopftuchträgerinnen und das Grillen im Park, ganz besonders aber bekopftuchtes Grillen im Park das Sommerloch in Berlin füllten. Als ich im Jahr darauf nach Istanbul kam, bestimmten das Kopftuchverbot und das Grillen im Park auch dort die Schlagzeilen. Das alte Bürgertum und die neue Mittelschicht der Stadt sahen sich einer Flut von Zuzüglern bäuerlicher Herkunft gegenüber, die immer selbstbewusster die öffentlichen Räume besetzten. Als im Sommer 2005 nach einer Unterbrechung von mehreren Jahrzehnten (aus Umweltgründen) die Strände Istanbuls wieder eröffnet wurden, brachte dies ein Stadtverwalter folgendermaßen auf den Punkt: „Das Volk erstürmte die Strände, die Bürger konnten nicht baden.“ Auf der einen Seite die Bürger, auf der anderen das lästige Volk.

Wann immer in der deutschen Presse von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten berichtet wird, darf der Hinweis auf die Herkunft nicht fehlen. Politisch korrekt wird dann von Migrationshintergrund gesprochen. Laut dem Stadtforscher Tom Hayden hat sich in den USA bereits der Bergriff „Kriminelle“ als Codewort für Rasse durchgesetzt. „Das Rassenproblem, das einst viele Sympathien der Mittelschicht erhielt, ist nun rhetorisch in ein Kriminalitätsproblem verwandelt worden.“

Kreuzberg ist ein Migrationsbezirk. Das ist er seit seiner Gründung in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Stadt aufgrund des Zuzugs dringend benötigter Arbeitskräfte schnell anwuchs. Armut, häusliche Enge und ein geringes Bildungsniveau haben hier Tradition. Wenn die Politiker auf die ausländische Herkunft sozialer Probleme hinweisen, ist dies ein Spaltungsversuch. Da ist das Volk ohne (Frühschwimmer-)Kultur, und hier sind wir Bürger und können nicht baden. Die Presse, die sich als Sprachrohr der Mittelschicht versteht, schreibt diesen Äußerungen hinterher. Unwahrheiten werden kritiklos zitiert. Die sozialen Probleme interessieren nur wenig.

Gleichzeitig ziehen immer mehr „Besserverdienende“ in den Bezirk und tragen zu einer Umstrukturierung des öffentlichen Raumes bei, wie etwa am Kreuzberger Oranienplatz. Auf der Webseite des überengagierten Bürgervereins Luisenstadt e. V. ist zu lesen, dass man sich wünscht, wieder deutsche Rentner auf dem Platz anzutreffen. Die finden die sanierte Variante übrigens wirklich prima. Deutsche Rentner mit meist türkischem Migrationshintergrund bevölkern zahlreich die Bänke entlang der Hauptachse. Etwas schattiger mögen es die deutschstämmigen Biertrinker unter den Bäumen.

Das großzügig gestaltete Prinzenbad ist aus heutiger stadtplanerischer Sicht purer Luxus. Zudem zahlt ein Großteil der Gäste nur das Sozialticket. Die Kosten für den Betrieb kommen nicht ausreichend wieder rein. Als die Anlage in den 50er-Jahren geplant wurde, sollte sie ganz praktische Probleme lösen: 80 Prozent der Kreuzberger Bevölkerung lebte in beengten Verhältnissen ohne eigenes Bad. Bis 1975 unterstanden die Bäderbetriebe deshalb als Einrichtungen der Volkshygiene dem Gesundheitsamt, danach der Sportverwaltung.

Heute dominieren ökonomische Probleme. Viele Familien sind von Armut bedroht. „Bei den Kindern arabischer Herkunft ist es am schlimmsten“, erklärt mir Hadi (Migrationshintergrund: iranisch), ein Stammschwimmer des Prinzenbades. „Zu Hause hören sie ständig die Eltern von Abschiebung reden, dann kommen sie hierher und können sich nicht einmal ein Eis leisten. Das ist frustrierend. In den Männerduschen gibt es oft Ärger. Viele haben keine Ausbildung, keine Perspektive. Nun will man sie auch hier abschieben. Aber das Problem ist damit nicht gelöst.“

Hadi hat noch eine Vermutung, worum sich der Streit über das Prinzenbad auch dreht. „Manchmal glaube ich, die wollen die große Wiese abteilen und dort vielleicht einen Mini-Golf-Platz einrichten. Deshalb wird jetzt so ein Wind gemacht.“

Tatsächlich wird derzeit mit den Berliner Bäderbetrieben ein Pilotprojekt realisiert, das 2008 offiziell starten soll: Schlafboxen für Eventtouristen. Fünf wurden bereits produziert. „Wenn alles klappt, sollen die Boxen noch in diesem Jahr aufgestellt werden. So der Bäderchef Klaus Lipinsky. Die ersten „Public Pool Lounges“ will man im Prinzenbad aufstellen. „Das ist ideal, denn es ist das einzige Freibad mit U-Bahn-Anschluss und hat Kultstatus“, freut sich Michael Lehner, einer der Konstrukteure der Boxen. Er versucht nun eine Genehmigung dafür zu bekommen, was aufgrund des Flächennutzungsplans nicht ganz einfach ist. Die nächste Konkurrenz um Raum ist damit vorprogrammiert.