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Archiv-Artikel

Diplom-Straßenmusiker für Hannover

Ein hannoverscher CDU-Politiker will Straßenmusikern eine Prüfung abnehmen, bevor sie die Landeshauptstadt beschallen dürfen. Das soll osteuropäische Kinder schützen, die mit Musik Geld verdienen müssen. Die hat allerdings niemand gesehen

Eigentlich ist in Hannover alles ganz klar. Für Straßenmusiker, so regelt es die Straßenverkehrsbehörde, ist „das Mitführen/Bereithalten sowie der Einsatz von elektroakustischen Verstärkeranlagen und Aggregaten/Batterien nicht zugelassen“. Vulgo: Verstärker ist nicht. Auch der Verkauf von Tonträgern und die Benutzung „besonders lauter Musikinstrumente“ wie Schlagzeuge und Saxofone ist verboten. Außerdem müssen die Straßenmusiker alle 30 Minuten mindestens 100 Meter weit umziehen. Doch es wäre schade, wenn sich die Straßenmusik nicht noch besser reglementieren ließe: zum Beispiel durch ein Straßendudler-Diplom.

Das CDU-Ratsmitglied Dieter Küßner wünscht sich eine solche Prüfung für die osteuropäischen Geigenvirtuosen, Songwriter mit Mundharmonika und bunten Indio-Trupps auf Hannovers Straßen. Bessere Musik soll dieser Vorschlag auf die Straßen bringen. Küßner geht es aber nicht um das künstlerische Niveau allein: Er meint, auf den hannoverschen Straßen seien Kinder unterwegs, die gewerbsmäßig für Geld spielen müssten. Er denkt dabei an „osteuropäische Banden“, die von ihrem Nachwuchs Geld erfiedeln lassen.

Allerdings: Außer Küßner hat offensichtlich niemand diese Kinder gesehen. „Das ist mir überhaupt nicht bekannt“, sagt Joachim Teuber von der hannoverschen Diakonie, der in einem Kontaktladen für Wohnungslose arbeitet und dadurch dicht an den Straßen der Landeshauptstadt dran ist. Sollte das Phänomen tatsächlich einmal auftauchen, gäbe es ohnehin schon die richtigen Strukturen, um zu reagieren. „Es gibt bettelnde Kinder, aber von denen hat noch niemand Musik gemacht“, sagt auch ein Sprecher der hannoverschen Stadtverwaltung. Kopfschütteln auch bei den Ratsfraktionen von SPD und Grünen.

Die grüne Ratsfrau Ingrid Wagemann findet den Vorschlag Küßners „furchtbar“ und sieht dahinter die Tendenz, die Stadt blank und sauber halten zu wollen. Ganz ähnlich klingt SPD-Ratsherr Thomas Hermann. Er vermutet, die CDU wolle unterschwellig auf das Thema Betteln aufmerksam machen und – wieder einmal – in den Straßen aufräumen. Hermann nennt das „einfach nur noch unerträglich“. Im Moment diskutiert Hannover ohnehin schon darüber, ob Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen verboten werden sollte. Wagemann will Kompromisse finden: Davon, kurzerhand alle Armen oder Alkoholiker aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben, hält sie gar nichts.

Küßner hingegen möchte die organisierte Musikkriminalität „ausmerzen“. Eigene Erlebnisse in der Innenstadt hätten ihn auf das Problem aufmerksam gemacht, sagt er. Wer ohne Ausweis in den Straßen Musik macht, solle mit einem Platzverweis und notfalls mit mindestens 150 Euro Zwangsgeld bestraft werden. Das Dudler-Diplom soll die städtische Musikschule abnehmen, die Musiker sollen durch einen Aufruf in der Presse zur Prüfung gebeten werden. Prüfungsmaßstab: das „normale Empfinden eines normalen Mitteleuropäers“.

Für die alljährliche Weihnachtsaktion der örtlichen Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, bei der Kinder in der Innenstadt Geld für einen guten Zweck erspielen, würde auch Küßner eine Ausnahme machen. Generell sollen Kinder aber keine Ausweise bekommen. „Wer nicht spielen darf, geht vielleicht sogar zur Schule“, sagt Küßner. Dass Musiker, die tatsächlich ihre Kinder zum Geldverdienen schicken wollen, einfach auf andere Städte ausweichen könnten, glaubt Küßner nicht. „Andere Städte“, sagt er, „können unserem Beispiel ja folgen“. Und auch die Politessen, die die Ausweise kontrollieren sollen, könnten sich über seinen Plan freuen, fügt Küßner mit einem Lachen hinzu: „Dann werden sie auch einmal einer sinnvollen Aufgabe zugeführt.“

Straßenmusik ist die älteste Musik, die es überhaupt gibt, sagt Günther Noll vom Institut für musikalische Volkskunde der Universität Köln. Sie wurde in Deutschland wieder zum Alltagsphänomen, als die ersten Fußgängerzonen eingerichtet wurden. Eine Prüfung, findet Noll, widerspreche dem Geist der Straßenmusik, die von jedem Laien gemacht werden kann. Darüber könnte Küßner sich noch hinwegsetzen. Dass allerdings der SPD-Ratskollege Thomas Hermann seinen Vorschlag für „eher einen Lacher“ hält, kann Dieter Küßner nicht egal sein. Der CDU-Politiker gehört zur ewigen Opposition in einer Stadt, deren Regierung seit mehr als sechzig Jahren von der SPD geführt wird. Und so wird Küßners Vorschlag vermutlich vor allem eines bleiben: Zukunftsmusik. KARIN CHRISTMANN