: Auf der Schreibmaschine tanzen
Mit dem Drehbuch zu „Zimmer mit Aussicht“ wurde Ruth Prawer Jhabvala Mitte der Achtziger berühmt. Doch sie schrieb seit den Sechzigern – in Bollywood, für das sie etwa Shakespeare-Stoffe adaptierte. Das Arsenal zeigt eine Auswahl ihrer Filme
VON EKKEHARD KNÖRER
Zwischen den Ländern, Kulturen und Kontinenten bewegt sich die Lebensgeschichte der Roman- und Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala. Geboren wird sie als Kind eines polnisch-jüdischen Anwalts und einer deutsch-jüdischen Mutter 1927 in Köln als Ruth Prawer. 1939 flieht die Familie nach England, wo sie fortan vorwiegend Englisch spricht und 1948, in dem Jahr, in dem ihr Vater sich das Leben nimmt, englische Staatsbürgerin wird. Sie studiert englische Literatur und macht am Londoner Queen Mary College ihren Abschluss. Sie lernt den indischen Architekten Cyrus H. Jhabvala kennen, heiratet und zieht im Jahr 1951 mit ihm nach Neu-Delhi. Dort lebt sie zunächst als Hausfrau, beginnt bald aber zu schreiben. 1955 veröffentlicht sie ihren Roman „To Whom She Will“, erste Erzählungen werden im New Yorker gedruckt.
Ihr 1960 erschienener Roman „The Householder“ spielt in Indien und erzählt von den Problemen einer arrangierten Ehe. Auf den Roman werden zwei junge Filmemacher aufmerksam, der Amerikaner James Ivory und sein aus Indien stammender Lebensgefährte Ismael Merchant (eigentlicher Name: Ismael Noormohamed Abdul Rehman). Beide haben soeben – nämlich 1961 – nach ersten Achtungserfolgen mit Kurzfilmen in den USA die gemeinsame Produktionsfirma „Merchant Ivory Productions“ gegründet und fragen jetzt bei Ruth Prawer Jhabvala an, ob sie ihren Roman in ein Drehbuch umarbeiten könnte. Sie hat damit noch weniger Erfahrung als die beiden mit dem Filmemachen, sagt aber zu – und 1963 ensteht als erster Langfilm von Merchant Ivory die Jhabvala-Verfilmung „The Householder“. Mit diesem Film startet eine Reihe im Arsenal, die sich vor allem auf die frühen, nach Ruth Prawer Jhabvalas Drehbüchern entstandenen Merchant-Ivory-Arbeiten konzentriert.
Als Hauptdarsteller gewinnen die drei schon im Erstling Shashi Kapoor, Bruder von Raj Kapoor, also des berühmtesten Bollywoodstars seiner Zeit, und selbst schon auf dem besten Weg zu einer erfolgreichen Karriere in der indischen Kommerzfilmindustrie. Die Kameraarbeit übernimmt Subatra Mitra, der Kameramann des großen indischen Regisseurs Satyajit Ray, der wiederum die Filmmusik komponiert. In fast identischer Konstellation entstehen auch die Filme „Shakespeare Wallah“ (1965) und „Bombay Talkie“ (1970), in denen Prawer Jhabvala das Thema des Zusammenpralls europäischer und indischer Kultur variiert. „Shakespeare Wallah“ erzählt in grandiosen Schwarzweißbildern von einer englischen Schauspielertruppe, die seit Jahrzehnten mit ihren Shakespeare-Aufführungen durch Indien tingelt.
Als sich die bereits in Indien geborene Tochter (Felicity Kendal) des Theaterdirektors in den gutaussehenden Sanju (Shashi Kapoor) verliebt, kommt es zu Konflikten, die Jhabvala in der Kultur- und Medienkonkurrenz von Shakespeare/Theater und Bollywood/Film spiegelt. Sanju nämlich ist mit dem weiblichen Bollywoodstar Manjula (Madhur Jaffrey) liiert, die, als sie eine „Othello“-Inszenierung besucht, das populäre Medium eifersüchtig gegen die Theaterabeit ausspielt, als Star alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und so die Vorstellung stört.
Ähnlich ist die Konstellation im Farbfilm „Bombay Talkie“, der nun noch ausdrücklicher in der Welt der Filmindustrie von Bombay angesiedelt ist. Wirklich großartig sind die ersten zehn Minuten, der Vorspann vor allem, der aus durch die Straßen Bombays getragenen und am Wegesrand stehenden Plakaten mit Namen und Gesichtern von Cast und Crew des Films besteht. Wie nebenbei entwerfen die Credits so zugleich ein Bild der Stadt. Die Heldin des Films, die britische Autorin Lucia (Jennifer Kendal) platzt mitten in die Dreharbeiten zu einer hinreißenden Song-&-Dance-Sequenz eines Films mit Superstar Vikram (Shashi Kapoor).
Im Studio ist eine riesengroße rote Schreibmaschine aufgebaut, auf deren Tasten Vikram und Gaststar Helen (gespielt vom gleichnamigen größten indischen Tanzstar der 70er-Jahre in Bollywood) tanzen. Auch hier kommt es wieder zu einer amourösen Dreieckssituation, nur leider können sich Drehbuch und Film nicht recht entscheiden, ob das Ganze nun im ernsthaften, komödiantischen oder melodramatischen Register durchgespielt werden soll.
Ein weiteres Mal kehrte das Team 1982 nach Indien zurück, für die Verfilmung von Prawer Jhabvalas mit dem Booker-Preis gekröntem Roman „Hitze und Staub“. In diesem Film, der wie die Vorlage zwischen den Siebziger- und den Zwanzigerjahren wechselt, ist freilich jene Tendenz zur gepflegten Prachtentfaltung schon zu beobachten, die Merchant-Ivory dann in den Achtziger- und Neunzigerjahren zur Erfolgsmarke machte. Filme wie „Zimmer mit Aussicht“ (1985) schmeicheln dem Auge und beleidigen keineswegs den Verstand. Dennoch lässt das viel experimentierfreudigere Frühwerk des Teams ahnen, dass man sich von Jhabvala, Merchant und Ivory mal mehr versprechen konnte als die allzu glatten Kostümschinken auf hohem Niveau, mit denen sie dann berühmt wurden.
Das Arsenal zeigt in einer Reihe bis Ende August sechs Filme nach Drehbüchern von Ruth Prawer Jhabvala