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Archiv-Artikel

Paris’ einfache Nähkultur

Das muss der Wegwerfgesellschaft zuzuschreiben sein. Wer stopft heute noch seine Socken, näht an seiner Jacke den verlorenen Knopf wieder an oder ersetzt den Reißverschluss? Offenbar ist die Nachfrage nach diesen Kurzwaren auch in Paris massiv zurückgegangen. Und der Trend zum Do-it-yourself scheint das Nähkästchen nicht erreicht zu haben. Noch vor zwanzig Jahren gab es auch im Quartier noch zwei oder drei solche kleine Kurzwarengeschäfte, die man in Frankreich „Mercerie“ nennt.

Mit diesen meist von älteren Frauen geführten Läden wird wohl auch das Wort aus dem Alltag verschwinden. Vor einigen Jahren machte auch die „Mercerie“ an der Rue Bréa zu. In unzähligen Schubladen, Kästen und Schachteln fand der Kunde dort alles, was das Herz des Schneiderleins begehren konnte: Fäden in allen Farben, Knöpfe aller Größen, Nadeln, Flicken für den Ellenbogen oder Hosenboden und vor allem fachkundige Beratung. Jetzt verkauft am selben Ort ein Kleidergeschäft (eines mehr) nur Prêt-à-porter-Mode.

Seither gab es das immerhin noch im Warenhaus Le Bon Marché, wo unter dem Dach die „Droguerie“ nicht etwas „Drogen“, sondern Mercerie-Artikel angeboten wurden. Nun hat auch diese geschlossen. Offenbar rentierte dieses Geschäft mit Nadeln, Wolle und Faden im Vergleich zu den Luxusartikeln aus Mode und Kosmetik in den unteren Etagen zu wenig. Das ist schade, denn mit diesen Kurzwaren ging auch der letzte nostalgische Charme aus den Gründerjahren des berühmtesten Pariser Kaufhauses verloren.

Natürlich findet man in Haushaltsgeschäften auch weiterhin das Allernötigste an (leider völlig fantasielosen) Näh-Sets sowie selbstverständlich auch Nähmaschinen mit der allerneuesten Technologie. Noch existieren auch zwischen Sacré-Coeur und dem Pariser Multikultiviertel Barbès für die Hobby-Stylisten, die Tuchhändler des Marché Saint-Pierre. Doch es ist bestimmt nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie im Zuge einer Luxusrenovierung dieses Quartiers den Verkaufsstellen der internationalen Marken Platz machen. Alles Speziellere muss man wohl in Zukunft im Internet suchen.

Anachronisten, die dennoch selber von Hand nähen oder Kleider kreieren wollen, finden im Marais-Viertel in einem Hof an der Rue des Francs-Bourgeois eine Boutique, in der mit Knöpfen wie mit seltenen Antiquitäten für Liebhaber gehandelt wird. Auch das ist ein Trend: Was vorgestern noch so banal war wie ein Jackenknopf, wird morgen bereits zum begehrten Sammelobjekt. RUDOLF BALMER