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Archiv-Artikel

Fragen in gefrorenem Zustand

KUNST Porträt der Bildhauerin Nairy Baghramian, die in Berlin und Mönchengladbach ausstellt

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das verlangt Mut: Eine Ausstellung in zwei großen Räumen mit so wenig Objekten zu bestreiten wie Nairy Baghramian im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.). Die Leere im Raum verschlägt mir erst mal die Sprache. Mit der Künstlerin stehe ich noch am Eingang. Eine bogenförmige Skulptur liegt dort auf dem Boden wie ein hingeworfenes Seil. Sie ist „Beliebte Stelle“ betitelt, und das erinnert mich an eine Aufgabe für Tänzer: Such dir eine Position, wo du dich wohlfühlst und von der aus du dir diesen Raum aneignen kannst.

Nairy Baghramian lächelt, als sie von dieser Assoziation hört. Tanz und Theater waren ihr erster Zugang zur Kunst, in den 80er und 90er Jahren in Berlin. Dass ihre skulpturalen Ensembles schon mal an Aufführungen erinnern, kommt nicht von ungefähr. Aber das ist nur eine Bezugsebene, die sich mit ihren sparsamen Materialgesten verbinden lässt.

Ein zweiter Kontext wird explizit durch einen Text der Kunsthistorikerin Manuela Ammer in die Ausstellung hineingetragen. Er ist für jeden greifbar im schmalen Vorraum. „Für die Ökonomien, die die Produktion, Präsentation und Rezeption von Kunst bestimmen, will Nairy Baghramian in ihrer Ausstellung sensibilisieren“, schreibt Ammer. Der Titel „Beliebte Stelle“ verweist auf die Orte, an denen im musealen Kontext Kunstwerke gern an die Wand gehängt oder auf den Boden gestellt werden. Damit erteilt der Ausstellungsmacher dem Besucher quasi eine Regieanweisung, ordnet den Bezug zwischen Werk, Betrachter, Raum. Nairy Baghramian greift diese Geste auf.

Ihre Skulpturen werden oft als minimalistisch bezeichnet, aber meist verbindet sich mit ihnen eine Interpretation von vorgefundenen Situationen. Das gilt auch für die zweite Arbeit im n.b.k. – „Von der Stange (Handlauf)“ – , die im ersten Raum beginnt und tatsächlich wie ein Handlauf längs der Wand um die Ecke biegt und den zweiten Raum umfasst. Was zunächst wie ein schlichtes architektonisches Element aussieht, verblüfft auf den zweiten Blick durch die Konstruktion. Das umlaufende Metallrohr ist immer wieder unterbrochen und würde durch Ungleichgewicht aus den blauen Halterungen kippen, wären nicht Betonstangen dazwischengeschoben.

Raum neu produzieren

Die Elemente stützen einander, keines kann für sich bestehen. Diesen Gedanken spinnt die Künstlerin weiter. Der Handlauf ist angewiesen auf die Wand; die Wand auf die Institution Kunstverein; die Institution auf das Kunstwerk. „Das ist ein Konglomerat von Abhängigkeiten, die zusammen den Raum neu produzieren“, sagt Baghramian.

Sie nennt ihre Arbeiten auch „Fragen in gefrorenem Zustand“. Das können ebenso Fragen nach den Bedingungen der Skulptur sein wie nach Abhängigkeit und Zusammenhalt als gesellschaftliche Kategorie. Abhängigkeit und Zusammenhalt sind auch ein Element in der derzeitigen Ausstellung „Open Dress“ von Nairy Baghramian im Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Eingeladen zu einer Einzelausstellung hat sie, wie schon bei anderen Gelegenheiten, darum gebeten, andere Künstler einbeziehen zu können. „Andere Arbeitsweisen anschauen, mit anderen Denkweisen ins Gespräch kommen ist mir wichtig“, sagt sie. „Kunst wird nicht immer neu geboren, sie schließt sich an andere Dinge an oder widerspricht ihnen. Das will ich konkret sichtbar machen.“

Zu ihren Partnern in Mönchengladbach gehört Lutz Bacher, eine amerikanische Künstlerin, die ein männliches Pseudonym angenommen hat, als Verweis auf die Schwierigkeiten, als Künstlerin sichtbar zu werden. Ein andermal holte sie sich die Schweizer Gestalterin Janette Laverrière hinzu, mit der Baghramian das Hinterfragen der Geschlechterollen in Architektur und Design teilt. Warum stammt die meiste Architektur von Männer, warum werden Frauen in den Innenraum geschickt, fragt sie sich. In dieser zweigeteilten Geschichte will sie nicht verortet werden.

Ihr kritisches Verhältnis zur Architektur war zum Beispiel Antriebskraft für eine Skulptur, die sie im Mai in Chicago auf der Terrasse des Art Institutes realisieren konnte. Von dort aus hat man einen weiten Blick über die Skyline der Stadt mit ihren Wolkenkratzern. Skulpturen im Außenraum messen sich oft mit der Architektur, streben in die Höhe und suchen die repräsentative Geste. Genau das wollte Baghramian nicht. Ihre Form „French Curves“ betont die Horizontale, breitet sich in einem flachen Bogen auf der Terrasse aus, als wolle sie die Landschaft umarmen.

Nairy Baghramian ist 1971 in Isfahan im Iran geboren; seit sie 13 Jahre alt war, lebt sie in Berlin. Ihre Familie, die zur armenischen Minderheit gehörte, verließ damals das Land aus politischen Gründen. Oft wird sie als „iranische Künstlerin“ bezeichnet. „Aber ich beharre darauf, dass das nicht stimmt“, sagt sie. „Ich lebe nicht dort, ich arbeite nicht unter den politischen Umständen, die dort gelten. Dieser Irrtum geht zulasten der Künstler, die dort leben.“

Der Kunstbetrieb schmückt sich heute gern mit Herkünften. „Früher spielte bei Künstlern oft eine Rolle, bei wem man studiert hat, welche Meisterklasse; heute geht es darum, wo man herkommt. So erzeugt der Kunstmarkt eine Fiktion von Globalität, dass die Welt sich erweitert hat. Daran glaube ich nicht. “

Etikettierungen oder die eigene Arbeit zu einer Marke zu machen, das ist ihr zuwider. Wenn sie etwas nicht will, kann die Künstlerin sehr entschieden werden. Ihre Kritik an Formen der Repräsentation ist groß, und sie begann schon früh. Schon als Studierende störte sie das akademisch hierarchische Bild, das in der Rede vom Meisterschüler zum Ausdruck kommt. Nicht zuletzt deswegen ist sie in Berlin viel von einer Universität zu nächsten gehüpft, hörte feministische und filmtheoretische Vorlesungen, besuchte in London verschiedene Kunstschulen.

2014 war für Nairy Baghramian ein erfolgreiches Jahr. Sie hatte Einzelausstellungen in Porto und Chicago, war Stipendiatin der Villa Aurora in Los Angeles und erhielt am 16. Dezember den Arnold-Bode-Preis der Stadt Kassel. Dass sie international als eine der wichtigsten deutschen Bildhauerinnen gilt, belegen viele Ausstellungen in renommierten Häusern. Da erstaunt es, dass der n.b.k. die erste größere Einzelausstellung der Berliner Künstlerin in Berlin zeigt.

„Off The Rack“, n.b.k. Berlin, bis 25. Januar 2015

„Open Dress“, Museum Abteiberg Mönchengladbach, bis 19. April 2015