: GANGSTER UND BANKSTER
VON RALF SOTSCHECK
Früher war das eine miese Gegend. Bei der Erwähnung der Sheriff Street in der Dubliner Innenstadt zuckten die meisten Einheimischen zusammen. Als mir vor Jahren jemand das Auto demoliert hatte und Fahrerflucht beging, erklärte mir der Polizist, nachdem er die Adresse des Übeltäters aus dem Computer gefischt hatte, dass er seine Kollegen dort unmöglich hinschicken könne. „Der Typ wohnt in der Sheriff Street“, sagte er mit gesenkter Stimme und schüttelte bedauernd den Kopf. „Dort laufen sogar die Rottweiler nur paarweise herum.“
Das ist lange her. Inzwischen sind die alten Einwohner in die Vororte umgesiedelt worden, und in die Sheriff Street sind viel unangenehmere Gangster eingezogen: Die grünen Glaspaläste des Dubliners Finanzzentrums haben sich in den Boomjahren bis in die Sheriff Street ausgedehnt. Das gegenüberliegende North Star Hotel existiert aber noch. Früher war es eine zwielichtige Spelunke mit Handelsvertreterflecken auf den Zimmerteppichen, heute ist es ein Dreisternehotel mit Sauna und Fitnessraum. Hier war meine taz-Leserreisegruppe untergebracht.
Während die Reisenden sich für das Abendessen fein machten, bestellte ich an der Bar einen Orangensaft. Da die Hotelbesatzung aus Osteuropa stammt, war das schwieriger als erwartet. Wo ich sitze, wollte die Angestellte wissen. Ich habe mich noch nicht entschieden, entgegnete ich. „Dann sitzt du dort“, befahl sie und zeigte auf einen Tisch. Ich würde mich doch lieber unter die Eisenbahnbrücke setzen, bat ich. Das Hotel hat beim Umbau unter der Brücke einen Raucherraum eingerichtet, der zwar nach hinten offen ist, aber über Heizspiralen und einen Flachbildfernseher verfügt.
„Nein, du sitzt dort“, sagte die Angestellte zu meiner Überraschung und zeigte erneut auf den Tisch. Das möchte ich aber nicht, sagte ich bockig, doch sie blieb hart: „Draußen wird kein Essen serviert.“ Ich wolle doch lediglich einen Saft, sagte ich, worauf sie meinte: „Also gut. Den musst du an der Bar bestellen.“ Ich stehe doch an der Bar, erwiderte ich irritiert. „Aber an der falschen Stelle“, sagte sie und dirigierte mich einen Meter nach links an die Orangensaftquelle.
So weit, so gut. Als Eckie, der Co-Reiseleiter und Busfahrer, abfahren wollte, drängten sich zwei Jugendliche, die höchstens 14 waren, in den Bus. Sie sondierten mit geübtem Blick die Gepäckablage auf herumliegende Wertgegenstände, und wir hatten alle Mühe, sie aus dem Bus zu drängen. Doch nun ließ sich die Tür nicht mehr schließen. Mit offener Tür kann man den Bus nicht bewegen. Die Nachwuchsgangster kannten sich anscheinend aus und wussten, wie man einen Bus lahmlegt. Erst nach mehreren Anrufen bei dem Busvermieter fanden wir heraus, dass die beiden einen versteckten Hebel am Ausstieg umgelegt hatten, der die Türhydraulik außer Betrieb setzt.
Offenbar hatte man damals vergessen, die beiden kleinen Kleinkriminellen in die Vororte umzusiedeln. Aber vielleicht rauben sie ja später, wenn sie groß sind, wenigstens einen der grünen Bankpaläste aus.