: Langer Weg zur Erlösung
AFRIKA Gentleman, Niedecken und Freunde singen gegen die Hungerkatastrophe an
VON ELENA BEIS
Ein vielleicht letzter lauer Berliner Sommerabend, Teenies mit Rastazöpfen, junge Multikulti-Familien und ein paar ältere Paare sitzen auf Bierbänken vor dem Berliner Tempodrom und trinken ein Bier; die meisten Konzertbesucher hüpfen aber bereits seit sechs Uhr abends zu der Reggaemusik verschiedener lokaler Künstler vor der Bühne im Tempodrom und wollen hier Afrika mit ihrer Anwesenheit etwas Gutes tun.
Ein Jahr lang haben „Gemeinsam für Afrika“, ein Zusammenschluss von 23 Entwicklungsorganisationen, und „Reggae-Nation“, eine staatlich geförderte Jugendorganisation mit Fokus Afrika, das Benefizkonzert „United for Africa“ im Berliner Tempodrom geplant und vorbereitet – und nun hat es am Samstag zufällig während einer der schlimmsten Hungerkatastrophen Afrikas stattgefunden.
Der Eintritt kostet 35 Euro, die Künstler treten aber alle ohne Gage auf, auch der bekannte deutsche Reggaekünstler Gentleman und Wolfgang Niedecken, der Fontmann der Kölsch-Rock-Band BAP, die insbesondere in den 1980ern große Erfolge feierte. Die Erlöse sollen alle der Organisation Gemeinsam für Afrika und deren Hilfsprojekten am Horn von Afrika zugutekommen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise gegen die Hungersnot engagieren.
Neben dem Sammeln von Geldern gehe es bei diesem Benefizkonzert in erster Linie darum, Menschen zu erreichen und einen Anstoß zu geben, erklärt Wolfgang Niedecken: „Wir engagieren uns hier, weil Künstler eine bessere Möglichkeit haben, an Menschen heranzukommen und sie zum Nachdenken über die Problematik in Afrika zu bewegen, als zum Beispiel Agrarfachmänner, die vielleicht ein detailliertes Wissen haben, aber nicht so eine breite Masse erreichen.“
Spekulation ist Mord
Dieses Benefizkonzert ist ein lobenswertes Engagement, wie auch die bisher fast 100 Millionen Euro Privatspenden, die die Deutschen für Afrika aufgebracht haben. Dennoch muten die Anstrengungen angesichts der Tatsache, dass Politiker und Finanzspekulanten, dass Lifestyle und CO2-Ausstoß der Industriestaaten die aktuelle Hungerkrise im Ostafrika mitverursacht haben, doch zweischneidig an.
Organisatorin Susanne Anger ist sich der Widersprüche bewusst: „Was sich gerade an den Finanzmärkten abspielt mit Spekulationen auf Lebensmittel und Rohstoffe ist wirklich Mord. Allein damit haben wir Industriestaaten letztes Jahr 44 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gedrängt. Und die verantwortlichen Finanzspekulanten sitzen nicht in Afrika – sie sitzen in Frankfurt, in New York, usw.“ In den sogenannten „Geberländern“ also.
Die Folgen dieser Spekulationen für Afrika sind fatal: „In den Industrieländern geben wir ca. 13 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel aus, die Menschen in Afrika müssen 70 Prozent ausgeben“, sagt Anger in einer Ansprache während des Konzertes – in der Hoffnung, die Zuhörer für diese Themen zu sensibilisieren, „sodass sie mehr Druck auf unsere Regierungen ausüben“.
Verschlimmert habe die momentane Hungersnot am Horn von Afrika auch der Ankauf landwirtschaftlich nutzbarer Flächen durch westliche und asiatische Konzerne. Die Kleinbauern wurden laut einem Report der Welthungerhilfe vielerorts vertrieben, um auf den Flächen Lebensmittel oder Biosprit für die Industrienationen anzubauen. Auch für dieses spröde Thema soll man bei der Veranstaltung zwischen Musik, Spaß und Abtanzen sensibilisiert werden.
Das ist schon sehr bitter
Dabei hätte ein rechtzeitiges Eingreifen viele Menschen retten können. „Wir von Gemeinsam für Afrika haben vor Monaten schon vor der drohenden Hungerkatastrophe gewarnt, aber weder die Regierung, noch die Spender, noch die Medien wollten es hören“, so Anger. „Das ist schon sehr bitter, dass die Welt erst wieder reagiert, wenn Tausende Menschen den Hungertod sterben – und diese Art des Todes ist wirklich elend.“
Anger und auch die Musiker betonen die Wichtigkeit von Präventionsarbeit, aber auch von nachhaltiger Entwicklungshilfe. „Das Wichtigste bei der Entwicklungshilfe ist, sich selbst überflüssig zu machen, so wie es ein guter Nachhilfelehrer macht.“
Weder Prävention noch nachhaltige Entwicklungsarbeit haben am Horn von Afrika gegriffen. Und so stehen angesichts der momentanen Nachrichtenlage auch bei diesem Benefizkonzert unter dem Motto „United for Africa“ Hunger, Elend und Not im Mittelpunkt.
Während der siebenstündigen Veranstaltung werden Fotografien an die Wand projiziert, die das schwere Los des Kontinents eindrücklich zeigen: Flüchtlinge, deren neues Zuhause aus dreckigen Plastikplanen besteht mit einem Stück Pappe als Bett; bunt gekleidete Mütter mit erschöpften und weinenden Kindern; Schlangestehen um die Verteilung von Hilfslieferungen. Betrachtet man die Bilder während der sehr lebensbejahenden Performances der Reggae-Künstler genauer, fällt der enorme Überlebenswille der unter einem Dach zusammengepferchten Kinder, Frauen und Männer auf.
Man wünscht sich, dass Benefizveranstaltungen, die die Aufmerksamkeit auf Afrika lenken wollen, nicht nur anlässlich von Not und Hungerkatastrophen stattfänden, sondern auch aus dem einfachen Anlass, Afrikas Talent zu zeigen, Afrikas Vielfalt, Afrikas eigene Art, Krisen zu bewältigen, und die Fähigkeit, aus den widrigsten Umständen ein lebenswertes Leben zu gestalten – und diesen Kontinent eben nicht auf die schweren Umstände zu reduzieren, die er meistern muss.
Zwei Stunden Gentleman
Gentleman, der Haupt-Act des Abends, der Ghana, Gabun und Nigeria besucht hat, sagt in einem Interview vor dem Konzert: „Trotz der Missstände, die es gibt, habe ich auch eine gewisse Lebensfreude entdeckt. Ich habe gesehen, dass Musik allgegenwärtig ist in den Ländern, wo ich war. Ich habe gesehen, dass Kommunikation unglaublich wichtig ist. Ich habe gemerkt, dass Afrika ein sehr spiritueller Ort ist. Dass es unglaubliches Potenzial gibt, sowohl spirituell als auch wirtschaftlich.“
Als er dann schließlich als Letzter auf die Bühne kommt und ein energiegeladenes, fast zweistündiges Set spielt, bringt er selbst die Älteren im Publikum in den hinteren Reihen zum Tanzen. Es ist ein Abend von vornehmlich emotionalem Wert für das Publikum. „Vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Gentleman, aber besser als nichts.
Der Abend ist mit insgesamt 2.000 Personen mäßig gut besucht, der Raum zur Hälfte gefüllt. Veranstalterin Susanne Anger zeigt sich dennoch zufrieden: „Berlin ist ein hartes Pflaster. Es ist schwierig, viele Menschen anzuziehen, wenn man keine Topweltstarts hat. Angesichts dessen, dass Reggae eine sehr spezielle Musikrichtung ist, sind wir mit der Besucherzahl zufrieden.“
Einen schönen Abschluss findet die Veranstaltung ganz schlicht mit „Redemption Song“ – Bob Marleys Vergebungs- und Erlösungssong. Wolfgang Niedecken kommt als Special Guest auf die Bühne und begleitet Gentleman mit der Gitarre.
Ein schlichtes, aber einprägsames Bild, auch wenn es bis zu wirklicher „Redemption“ – Ausgleich, Tilgung, Erlösung – auch nach Ende dieses gelungenen Benefizkonzertes noch ein sehr langer Weg sein wird.