: Krise mit Lametta
LIBANON Der Bürgerkrieg in Syrien schlägt beim Nachbarn voll durch, er spaltet das Land. Die Libanesen flüchten sich ins Feiern
■ übernahm 2012 das Büro der Heinrich Böll Stiftung in Beirut. Zuvor leitete sie das Büro in Afghanistan. Im Februar erschien ihr Buch „The Wisdom of Syria’s Waiting Game: Foreign Policy Under the Assads“.
Mindestens 25 Libanesen könnten den Jahreswechsel nicht im Kreise ihrer Familien begehen. Es handelt sich bei ihnen um Soldaten und Polizisten, deren Schicksal das ganze Land in Atem hält, seit sie im August dieses Jahres bei einem Angriff syrischer Extremisten auf die libanesische Seite der Grenze, die Region Arsal, entführt wurden. Die Entführer wollen mit ihnen Islamisten freipressen, die im Libanon inhaftiert sind. Dazu noch: den Rückzug der libanesischen Hisbollah aus Syrien, die dort das Regime bei seiner blutigen Niederschlagung der syrischen Revolution unterstützt.
Die Familien der Entführten verzweifeln daran, wie wenig sich die libanesische Regierung ihrer Meinung nach um die Freilassung ihrer Angehörigen kümmert – trotz der großen öffentlichen Aufmerksamkeit. Zwei Geiseln ermordeten die Entführer bereits.
Wahlen verschoben
Weil Erfolge in den Verhandlungen ausblieben, hat es Katar im Dezember 2014 aufgegeben, zwischen Entführern und der libanesischen Regierung zu vermitteln. Um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, blockieren die betroffenen Familien immer häufiger mit brennenden Reifen die Straßen. Jüngstes erklärtes Ziel: Es sollen keine humanitären Hilfslieferungen mehr nach Arsal gelangen – dort säßen nur die Terroristen, und diese sollten nicht auch noch gepäppelt werden. Arsal ist eines der Gebiete, in dem die meisten syrischen Flüchtlinge Zuflucht gesucht haben. An manchen Orten dort hat sich die Bevölkerung verdreifacht. Seit den Übergriffen der Extremisten haben sie es noch schwerer, weil Flüchtlingszelte niedergebrannt wurden und die Ressentiments zwischen aufnehmenden Gemeinden und Flüchtlingen anstiegen.
Seit dem vergangenen Jahr steckt das Land in einer permanenten Regierungskrise. Früher war die syrische Stärke – und Einmischung – problematisch für eine unabhängige Politik des Libanon. Jetzt ist es die Schwäche des Regimes, die das politische Geschehen im Nachbarland in einem unguten Schwebezustand hält. Soeben haben die Parlamentarier ihre Amtszeit um eine volle Legislaturperiode verlängert. Die interne Sicherheitslage erlaube es nicht, Wahlen durchzuführen, argumentierten sie. Viele aber finden, dass die externe Sicherheitslage nicht erlaube, weiterhin ohne eine politische Führung zu bleiben. Doch die beiden großen politischen Lager fahren fort zu polemisieren und zu polarisieren. Deswegen fühlen sich viele LibanesInnen durch ihre politischen Vertreter im Stich gelassen. Mehr denn je sei der Libanon ausländischen Mächten, insbesondere seinen problematischen Nachbarn, hilflos ausgeliefert.
Nur ein einziges Ministerium steuert dagegen: Auf der Webseite von United Hands, der prominentesten Kampagne gegen die Spaltung der Gesellschaft, sticht als Erstes „unter der Schirmherrschaft des Tourismus-Ministeriums“ ins Auge. Anfang Dezember wollten die Veranstalter der Kampagne eine Menschenkette an der Küste entlang bilden, von Tripoli bis Tyros. Zwar kam lediglich ein kleiner Bruchteil der geschätzt 200.000 Erforderlichen, um die 170 Kilometer zu überbrücken.
Im Prinzip jedoch kann man an jedem Wochenende eine Art Autokette auf der gleichen Strecke beobachten, sogar in beide Richtungen: Ganz Beirut ist am Wochenende auf der Straße – wenn es heiß ist, zum Baden an den Strand, zur Sommerfrische in die Berge oder ins Skiresort im Winter, Stau hin oder her. Die Weihnachtszeit setzt dem Verkehrschaos noch eins drauf. Mag die politische Lage auch noch so erdrückend sein: Wenn morgen die Welt untergeht, muss heute gefeiert werden, mit allen Schikanen.
Tannenbaum vor Moschee
Wie alle Festtage verbindet auch Weihnachten – in Konsum und Gewohnheiten. Viele Muslime scheuen sich nicht, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Die Tageszeitung Daily Star preist in ihrem Weihnachtsspecial explizit „nichtchristliche“ Weihnachtsbäume. In Beirut prangt der größte Tannenbaum vor der größten Moschee, und im Baumarkt eines im wesentlichen schiitisch geprägten Vorortes von Beirut ist ein aus Flaschenbürsten gefertigtes Bäumchenmodell ein Verkaufsschlager.
Schillernde Dekorationen
Der Wettstreit um die schillerndste Weihnachtsdekoration ist entflammt. Vom Brautkleid bis zum Motorradhelm: Was sich beleuchten lässt, wird auf den Balkon gestellt und illuminiert. Vergessen sind die üblichen Klagen über die lückenhafte Stromversorgung, die so gar nicht zu der edlen Oberfläche des Beiruter Stadtzentrums passt. Natürlich ist die Beleuchtung Privatsache. Neben den wiederkehrenden Motiven der Großsponsoren – üblicherweise Neonkonstruktionen, die neutral genug für jeden Anlass sind – sieht man japanische Kirschbäumchen mit grün leuchtenden Blättern, versehen mit einer Weihnachtsgrußkarte des Sponsors, auf dass man Anlass (und Spender) nicht verkenne.
In der Einkaufspassage, die einmal der Beiruter Basar war, steht ein Baum aus „personalisierten“ Cola-Dosen, unter denen man den eigenen Namen suchen kann. Den Weihnachtsbaum von Byblos, 30 Meter hoch und aus goldfarbenen Eisenblättern gestaltet, zählt das Wall Street Journal zu den Top-Ten-Tannen weltweit.
Der Werbeanteil in den Kindersendungen vervielfacht sich vor Weihnachten, und die Einkaufszentren wetteifern um die spektakulärsten Märchenlandschaften. Hier sieht man gehörige Mengen (Kunst-)Schnee, während eigentlich eher Regensaison ist. Wegen der Fluten in Beiruts Straßen wird regelmäßig der Flughafentunnel unpassierbar. Weihnachten und schlechtes Wetter zusammen sorgen für zermürbende Staus. Advent ist definitiv die beste Jahreszeit, um von Taxifahrern Flüche und Schimpfwörter zu lernen.
Angesichts des Chaos hat Verkehrsminister Ghazi Zaiter unlängst eine, wie er sagte, „radikale Lösung“ vorgeschlagen: öffentlicher Nahverkehr! Busse in der Stadt! Vielleicht gar eine Zugstrecke zwischen Beirut und Junieh, mit der das Verkehrschaos sich vielleicht eingrenzen ließe. Die Pläne liegen schon seit Langem in der Schublade. Ein guter Vorsatz, alle Jahre wieder. BENTE SCHELLER