: Fliehen vor der Flucht
Seit 1983 kämpfen die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) für mehr Unabhängigkeit im Norden und Osten Sri Lankas – mehr als 70.000 Menschen kamen dabei ums Leben. 2002 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Doch seit 2006 Jahr sind die Kämpfe erneut entflammt, zehntausende Zivilisten sind auf der Flucht. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe und fordern mehr Druck auf die Regierung in Colombo. Die scheint von Einsicht weit entfernt. Vergangene Woche wurde der UN-Gesandte für humanitäre Angelegenheiten, John Holmes, von einem Regierungsvertreter als „Terrorist“ bezeichnet, der die LTTE unterstütze. Holmes hatte beklagt, dass in den letzten 18 Monaten 30 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Sri Lanka getötet wurden. KEL
AUS BATTICALOA BERNARD IMHASLY
Die Küstenstraße von Batticaloa nach Vadaicherai ist deshalb so belebt, weil das Geschäft mit dem Tod blüht. Der Verkehr wird von Militärtransportern, Lastwagen mit Baumaterialien und den schweren Vierradmonstern der Hilfsorganisationen beherrscht, die sich dann auf ihrer Fahrt im Schneckentempo durch die schwer bewachten Militärcamps wieder ein Stelldichein geben. Manchmal sieht man hinter den Sandsäcken und Erdhaufen die Rohre von Geschützbatterien in den Himmel ragen.
Nach jedem Lager der Antiterrortruppe der Armee taucht dann ein Unterstand deren Juniorpartner auf: ein Haus mit Wellblech-Abschrankungen, hinter denen die Köpfe und Gewehrläufe der Parteimitglieder der TMVP sichtbar werden. Die TMVP wurde von dem berüchtigten Oberst Karuna gegründet, der bis 2004 die Truppen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) im Osten Sri Lankas befehligte. Inzwischen kämpft er mit mehreren tausend Mann aufseiten der Regierungstruppen. Zwischen den zwölf Armeelagern wird der Platz knapp für die anderen Zeugen der Gewalt. 23 Vertriebenenlager gibt es entlang der Straße, und dazwischen liegen die schmucken Häuschen, die für die Tsunami-Opfer gebaut wurden.
Im Vergleich dazu liegt das Tsunami-Dorf Manmunai südlich der Stadt Batticaloa geradezu idyllisch am Rand einer Lagune. Der Blick geht über das stille Wasser auf die Reisfelder, und selbst das nahe Militärlager bei der Anlegestelle der Fähre wirkt, eingebettet in einen Palmenhain, auf den ersten Blick wie eine Oase. Doch um die Siedlung selbst läuft ein Stacheldraht, und ebenso irritiert die Gestalt einer Frau, die zwischen den zwölf Häusern scheinbar ziellos hin und her läuft. Als sie die Fremden sieht, bleibt sie, in sicherer Entfernung und mit halb abgewandtem Körper, stehen. Sie tritt nur zögernd näher, und ihr Blick bleibt ebenso fahrig wie ihre kurzen Antworten und die Hände, mit denen sie ihr Sarituch enger um sich zieht. Deena Ahmed Hussain ist hier einmal Nählehrerin gewesen, erzählt sie. Ihr Vater hatte eine Reparaturwerkstatt für Fahrräder. Später zeigt sie ihre Hütte, von der nur noch die Grundmauern stehen, das einzige Erinnerungsstück an die schlimmen Ereignisse von 1990.
In jenem Jahr war es hier zu schweren Kämpfen zwischen der LTTE und der Armee gekommen. In deren Verlauf war in einem benachbarten Weiler ein Armeeoffizier von einem Unbekannten erschossen worden, worauf Soldaten 156 Zivilisten wahllos niedermetzelten. Die 50 Familien der Siedlung beschlossen zu fliehen. Deena und ihre Angehörigen zogen an die Küste. Doch sie hatten nicht damit gerechnet, dass auch die Natur gewalttätig sein kann. 13 Jahre nach ihrer Flucht wurden sie vom Tsunami ein weiteres Mal in die Flucht gejagt – und hatten auch noch Glück dabei. Nicht alle konnten noch fliehen: „Etwa ein Drittel der Familien kam ums Leben“, sagt Ganesh, dessen NGO SWEEDF nach der Flutwelle vom Dezember 2004 die Betreuung der Überlebenden sicherstellte.
Die restlichen Bewohner des Dorfs kehrten dann in ihre alten Wohnstätten am Rand der Lagune zurück. Denn inzwischen war die Hoffnung aufgekeimt, dass das gemeinsame Erlebnis der Flutkatastrophe die verfeindeten Parteien einander näher bringen würde. SWEEDF baute, mit Hilfsgeldern aus Deutschland, das weitgehend zerstörte Dorf auf, und die Leute nahmen zu Hause ihr altes Handwerk wieder auf. Doch erneut kam es anders. Die Zuteilung der Tsunami-Gelder wurde statt zu einem Rettungsseil für Singhalesen und Tamilen zu einem Streitpunkt. Vor einem Jahr brach im Norden von Batticaloa erneut der Krieg aus. Es dauerte nicht lange, da hatte er auch Manmunai wieder erreicht. Die Lagune war erneut Frontlinie. Kaum waren sie in ihre neuen Häuser eingezogen, mussten die Bewohner wieder in die Flüchtlingslager von Manmunai Pattu zurückkehren.
Ähnliche Schicksale hatten die rund 60.000 Flüchtlinge in den 51 Lagern im Bezirk Batticaloa. Ihre Heimatorte sind jeweils andere, doch die Geschichten sind immer dieselben. Die Dörfer, viele eben erst wiederaufgebaut, gerieten zwischen die Fronten von Armee und LTTE. „Die Armee beschoss unsere Häuser, obwohl sich keine LTTE-Leute bei uns versteckten“, erklärt Tavakumar im Camp von Kurukkulmadam. Die Kampffront, die sich entlang der Küstenstraße nach Süden ausweitete, wälzte den ständig wachsenden Flüchtlingsstrom vor sich her, in Richtung Batticaloa. Zu Jahresbeginn waren es 200.000.
Heute sind es, nach Angaben des stellvertretenden Distriktchefs Mahesan, immer noch 13.383 Familien. Die IDPs, die internally displaced persons, werden sich auf eine lange Zeit in den Lagern einrichten müssen. Denn die Region, aus der sie stammen, ist von der Regierung inzwischen zur „Hochsicherheitszone“ erklärt worden. Mahesan räumte ein, dass für diese Menschen neue Siedlungszonen gefunden werden müssen; die Wartezeit könne daher „länger dauern“. Der 36-jährige Tavakumar wollte auf jeden Fall in sein Dorf zurückkehren, obwohl er gehört hatte, dass es inzwischen in ein Militärcamp umgewandelt worden war. „Aber wir können doch nicht in den Dschungel gehen, ohne Strom, Wasser, Straße“, sagte er verständnislos. Er war umringt von Lagerbewohnern, jungen Männern, Frauen mit Kindern auf dem Arm, die stumm zuhörten, als sei ihnen plötzlich bewusst geworden, dass die Zelte, die rundherum aufgestellt waren, ihnen noch die größtmögliche Sicherheit gaben.
Kurz darauf fuhren zwei Kleinlaster vor, die die wöchentlichen Rationen brachten – in diesem Fall stammten sie von der deutschen Hilfsorganisation Help: Teigwaren, Kokosnüsse, Speiseöl, getrockneten Fisch, Reis. „Es ist ein Glück, dass wegen des Tsunamis immer noch viele in- und ausländische Hilfsorganisationen in Batticaloa präsent sind, die sich die Versorgung der Lager teilen“, sagte die für Help zuständige Karen Watermann. „Doch die internationale Hilfe trocknet rasch aus. Tsunami-Gelder dürfen nicht zweckentfremdet werden. Manche internationale NGOs haben schon ihre Zelte abgebrochen. Das macht sich bemerkbar“. Wir standen im Lager Kirimithy, unter dem einzigen Baum, der etwas Schatten bot. „80 Gramm Reis pro Person und Tag ist nun einmal nicht genug“, sagt sie, ebenso wenig wie die 4.000 Liter Wasser für die 200 Familien – rund eintausend Personen – , die in den Lagerhallen am Bahngleis von Batticaloa untergebracht sind.
Noch stärker spürbar als die Sorge um Nahrung und Wasser sind Unsicherheit und Angst. Das Erste, was die Menschen in Kirimithy erwähnten, waren nicht die mageren Nahrungsrationen, sondern dass es nur eine einzige Glühbirne im ganzen Lager geben soll. Es mag sein, dass traumatisierte Menschen die Dunkelheit besonders fürchten. Im Fall von Krimithy hatte die Angst einen konkreten Anlass. Immer wieder komme es vor, dass in der Nacht Soldaten und jugendliche Bewaffnete auftauchten, sagte die Lagerverantwortliche, die Leute aus den Zelten scheuchten und im Licht von Taschenlampen registrierten.
Es sind namentlich die jungen Männer, die gefährdet sind, denn die TMVP-Milizen von Oberst Karuna müssen mit Kämpfern aufgestockt werden. Karuna zögert ebenso wenig wie die LTTE, auch Kindern eine Waffe in die Hand zu drücken.
Als am Tag darauf am Strand von Navaladi die Eröffnung eines von Medico International gestifteten Unterstands für Fischer stattfand, schien dies die gedrückte Stimmung der Festgemeinde nicht zu heben. Erst später erfuhren wir, dass der Mann, der sich breitbeinig neben die Stuhlreihe der Ehrengäste aufgepflanzt hatte, ein Karuna-Milizionär war – eine Warnung, dass die Zeit von Zwangsaushebung und Erpressung mit der Niederlage der LTTE noch nicht vorbei ist.