Angriff der Klonbilder

IKONOLOGIE W. J. T. Mitchell schreibt gegen eine angebliche Amnesie der Amerikaner nach 9/11 an

Als George W. Bush am 6. August 2001 einen Bericht der CIA erhielt, dass Osama bin Laden einen Anschlag in den USA plane, ging er angeln. Drei Tage später hielt er seine erste in der Primetime gesendete Ansprache an die Nation. Sein Thema war die Stammzellenforschung. Der bevorstehende Terroranschlag musste dahinter zurückstehen.

Diese Episode aus der Amtszeit von Barack Obamas Vorgänger findet sich in dem neuen Buch von William John Thomas Mitchell, „Das Klonen und der Terror“. Der Kunsthistoriker und Anglist will damit nicht so sehr Bushs Ignoranz angesichts der von al-Qaida drohenden Gefahr dokumentieren, als auf eine historische Kontingenz hinweisen, in der sich zwei Phänomene verschränken, die in der Ikonografie der Gegenwart beherrschend sind.

„Cloning Terror“, wie das Buch im Original heißt, bringt diese Wechselseitigkeit noch deutlicher zum Ausdruck. Mitchell, bekannt als Bildtheoretiker des pictorial turn, sieht, so die These seines Buchs, seit dem 11. September 2001 einen Wandel der Kriegführung wie auch des Bildermachens am Werk: Einerseits sei ein „Klonen des Terrors“ zu beobachten, eine Reproduktion des Terrors, wobei ausgerechnet die Versuche, ihn zu bekämpfen, zu seiner Vermehrung beitragen. Andererseits gebe es einen „Terror des Klonens“, der sich in einer Angst sowohl vor der Biotechnologie des Klonens als auch vor einer neuen Form von Ebenbildlichkeit durch exakte Duplikate äußere. Diese „Klonophobie“ wird bei Mitchell zur aktuellen Version einer „Ikonophobie“, die schon seit der Antike bekannt ist – der Angst davor, Bilder lebendig machen zu können.

Mitchell will mit seiner Untersuchung jedoch nicht nur eine bildtheoretische Interpretation des Kriegs gegen den Terror und seiner Ikonografie bieten, sondern sieht sie auch als „Erinnerungsübung“, mit der er geschichtliche Amnesie verhindern will – die Amerikaner hätten schließlich die Fähigkeit, unerfreuliche Dinge, die in ihrem Namen geschehen seien, zu vergessen. So ist die beherrschende Ikone in seinen Ausführungen denn auch nicht das Bild der brennenden Twin Towers des World Trade Center, sondern der „Kapuzenmann“ von Abu Ghraib, jene schwarze Figur eines Folteropfers. Beide Bilder sind immer wieder geklont worden, wenn auch in sehr unterschiedlicher Absicht. Während der Krieg gegen den Terror mit dem Bild der Zerstörung von 9/11 – deren reale Opfer Mitchell nur vergleichsweise sehr knapp erwähnt – seinen Anfang nahm, wurde der Kapuzenmann zu einer Ikone des Protests, die in unzähligen Varianten auftauchte. Die heterogene Strategie des Buchs – zeitgeschichtliche Reflexion und Kritik an der Bush-Administration hier, semiotisch-psychoanalytische Abstraktionen da – schadet Mitchells Anliegen keinesfalls. Auch der auf den ersten Blick etwas sperrige Gedanke vom Klon als „Bild des Bildermachens“ bekommt im Verlauf der Abhandlung immer deutlichere Konturen als Interpretationsfigur zur Deutung des exponentiellen Wachstums der Rolle der Bilder. Bei Mitchell kann man diese Bilder durcharbeiten lernen. TIM CASPAR BOEHME

W. J. T. Mitchell: „Das Klonen und der Terror. Der Krieg der Bilder seit 9/11“. Aus dem Amerikanischen von M. Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2011, 288 S., 28,90 Euro