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Archiv-Artikel

Mit beispielloser antikolonialer Verve

NACHRUF Von widerständigem Charakter: Der französische Filmemacher René Vautier ist tot

Als er zum ersten Mal Schwierigkeiten mit der Zensur bekam, war René Vautier 21 Jahre alt. 1949 reiste der junge Filmemacher in offiziellem Auftrag durch französische Kolonien in Afrika; er sollte einen Lehrfilm über das Leben auf den Dörfern für den Schuleinsatz herstellen. Doch Vautier war von dem, was er sah, entsetzt. Er beschloss, die Widrigkeiten der Kolonialherrschaft ins Bild zu setzen. Das Negativmaterial wurde beschlagnahmt. Weil es Vautier gelang, einige Spulen zu retten, konnte trotzdem ein Film entstehen: „Afrique 50“. 13 Anklagen und eine Gefängnisstrafe waren die Folge.

Der kurze Film war ein Auftakt im doppelten Sinne: zum einen für ein mehr als 60 Arbeiten umfassendes Oeuvre, das in seiner Militanz und seiner antikolonialen Verve beispiellos ist. Vautier filmte junge französische Rekruten, die unter den Bedingungen des Kolonialkriegs verrohen („Avoir vingt ans dans les Aurès“, 1972), er filmte, was die Apartheid in Südafrika anrichtete („Frontline“, 1976) oder wie sich in der Bretagne, in der er 1928 zur Welt kam und der er Zeit seines Lebens verbunden blieb, Widerstand gegen die Verursacher einer Ölkatastrophe bildet („Marée noire, colère rouge“, 1978).

Zugleich stand „Afrique 50“ am Anfang einer langen Geschichte von Zensur und Repression. 1973 etwa trat Vautier in den Hungerstreik, weil der Film eines anderen Regisseurs nicht gezeigt werden durfte. Die Möglichkeit, Filme aus politischen Gründen zu zensieren, wurde daraufhin aus dem französischen Gesetzbuch gestrichen. Doch auch diejenigen, denen er wohlgesinnt war, spielten ihm übel mit: Nachdem er 1957 und 1958 im algerischen Aurès-Gebirge „L’Algérie en flammes“ „Flammendes Algerien“) gedreht hatte, eine Koproduktion mit den Ostberliner Defa-Studios, ließen ihn seine algerischen Kontaktleute in Tunesien inhaftieren und sogar foltern. Groll hegte er deshalb nicht. Nach der algerischen Unabhängigkeit 1962 zog er in das nordafrikanische Land und bildete am Centre Audiovisuel Ben Aknoun Filmschaffende aus.

Während einer Gefechtsszene in „L’Algèrie en flammes“ kollabiert die Kamera. Der Kameramann, erzählt die Stimme aus dem Off, sei verwundet, sein Assistent getötet worden. Das Bild zeigt zur Hälfte eine schwarze, zur Hälfte eine helle Fläche. Ein unheimliches Echo findet dieser Moment in einem Film, den Michel Le Thomas, ein Kameramann Vautiers, 2012 gedreht hat. „De sable et de sang“ handelt davon, dass Vautier vor Jahren einem algerischen Bekannten eine Kamera überließ, damit der sein Leben dokumentierte. Der Algerier schickte Filmspulen nach Frankreich, doch Vautier versäumte es, sich das Material anzusehen. Viel später fand die Polizei an der südspanischen Küste eine in Plastik eingewickelte Kamera, sie war angespült worden, mitsamt Vautiers Adresse. Der algerische Bekannte hatte versucht, nach Spanien überzusetzen, er ertrank, während die Kamera lief. Man sieht eine bewegte Wasseroberfläche, Lichtreflexe, schwarz. Ein Kollaps des Bildes, der nicht leicht auszuhalten ist. Vautier, der am Sonntag im Alter von 86 Jahren in der Bretagne verstarb, erzählt in „De sang et de sable“, er bereue eine Sache in seinem Leben: dass er sich das Material, das ihm der algerische Bekannte sandte, nicht sofort angesehen habe. CRISTINA NORD