: Öfter früher aufstehen
Die Overbeck-Gesellschaft in Lübeck zeigt junge, verspielte Fotografie aus Finnland, die ohne das Klischee der Schwermut auskommt
VON ROBERT BEST
Das so genannte „skandinavische Modell“ hat hierzulande an Popularität gewonnen, egal ob es um Pisa geht oder um den Arbeitsmarkt. Stets sind damit pragmatische Lösungen gemeint, für die man hierzulande angeblich zu borniert ist. In der Kunst allerdings ist ein Imagegewinn des Skandinavischen nicht zu beobachten: Dort gelten die Skandinavier beharrlich als formale Traditionalisten, die inhaltlich gerne Bizarres zum Besten geben.
Das ist auch in der finnischen Fotografie nicht anders. In der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck werden jetzt die Werke von jungen KünstlerInnen gezeigt. Die Fotos von Ilkka Halso, Anni Leppälä, Susanna Majuri, Marja Pirilä und Janne Lehtinens strahlen Buntheit, Wildwuchs und Sexyness aus. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Galerie Hippolyte in Helsinki, die von dem finnischen Fotografenverband getragen wird.
Es ist, als ob die Kamera fieberhaft vorwärts stolpert, mal blind vor Wahnsinn, mal erleuchtet vor lauter Klarsicht, oft verliebt in ein Gesicht. Das aber sieht man auf den Exponaten fast nie. Es versteckt sich grinsend hinter Milchglasscheiben oder unter Mützen und Haarpracht; es wird verzerrt oder gespiegelt, es erscheint oder verschwindet, doch nie ist es ganz da.
Wie unabsichtlich werden die gerne großformatigen Bilder stattdessen von Ornamenten durchzogen. Deren Verspieltheit ist das Bemerkenswerteste an den Fotos, die wie gute Tier- oder Abenteuerfilme funktionieren: Sie machen Lust darauf, mal früher aufzustehen oder länger wach zu bleiben und das geheime Leben der Alltagsdinge zu beobachten. Am besten mit Geräten, wie sie sonst nur Ornithologen, Vogelforscher, zur Verfügung haben. Denn ähnlich aufgeweckt nähern sich die fünf FinnInnen ihrer Natur. Hier, so sprechen die Bilder, gibt es noch alles zu entdecken. Sie inszenieren die Schöpfung als begehbares Panoptikum, als Gegenteil des Schnappschusses.
Dieses Selbstbild Finnlands suhlt sich nicht im Klischee Schwermut. Es transportiert Reichtum. Finnland ist nicht nur das Land der kurzen Tage und langen Gelage, sondern auch das der Artenvielfalt: Der finnische Norden, in dem viele der Fotos aufgenommen wurden, ist Europas Arche. Es wachsen nicht nur jährlich hundert Kilo Beeren pro Einwohner, hier leben viele seltene Tiere in Moor und Wald.
Diese Umgebung lässt innehalten, sie erfordert Sammlung: „Mapping the unknown“ ist die Ausstellung betitelt. In dieser Kartografie suchen die KünstlerInnen eine romantische Bilderwelt mit technischem Vorsprung zu koppeln. Den findet man nicht nur als Langzeitbelichtung, sondern auch in einer Synthetisierung von Natur und Technik, welche sich extra hierfür in ihre kitschigsten Formen kleidet, in verbogene Brückenpfeiler und rostige Rennboote. Das gemahnt zuweilen an die Ästhetik der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, der es gelang, Eisenbahn und Landschaft in eins zu schmelzen. In „Mapping the unknown“ tritt indes nicht die Technik wie verwunschen ins Bild, sondern die Natur.
Wo die Fotografien nicht deren Dialektik erkunden, widmen sie sich dem Farbenspiel. Geradezu meditativ wirkt etwa das Bild einer in sich versunkenen Schlittschuhläuferin mit blondem Haar und grünem Strumpf. Vor ihr – nach Manier des Split-Screens eine Bildhälfte einnehmend – öffnet sich eine knallrote zerkratzte Tür. Allein das Zusammenspiel der Farben bannt den Betrachter. Und dann ist da etwas Zweites, laut Ausstellungsinfo, Elementares: etwas „Unerklärliches, Unberechenbares, eine verborgene Geschichte“; derlei stecke hinter jedem einzelnen Exponat und binde so die diversen Motive.
Und in der Tat setzen sie alle darauf, so eine Aura auszustrahlen. Dies gelingt jenen Bildern, die mit Gegensätzen arbeiten. Wo aber Erhabenheit erzeugt werden soll, wird es schnell unnahbar.
“Mapping the unknown“ - Fotografie aus Finnland, bis 30. September in der Overbeck-Gesellschaft, Kunstverein Lübeck. Weitere Informationen unter www.overbeck-gesellschaft.de