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Archiv-Artikel

Hinter ihm der Wedding

Zille wird immer noch mit seinen deftigen Zeichnungen aus dem „Milljöh“ identifiziert. Das Heinrich-Zille-Museum zeigt einen anderen, fotografierenden Zille, der medientechnisch ganz vorn war

Noch überlagern Schichten der Folklore und des triefenden Berlin-Kitsches Zille

VON HEINRICH DUBEL

Nach Heinrich Zilles Ableben im Jahre 1929 warf Kurt Tucholsky den Verantwortlichen der Stadt vor, „nichts, aber auch gar nicht das leiseste“ zu tun, diesem und seinem Werk eine Stätte zu widmen. Obwohl Zille schon zu Lebzeiten auch über die Stadtgrenzen hinaus einer der bekanntesten Berliner Künstler war, wurde das Heinrich-Zille-Museum im Nikolaiviertel erst 2002 eröffnet, nach einigen Jahren der Vorbereitung und des Geldsammelns, organisiert von der privaten Heinrich-Zille-Gesellschaft. Untergebracht wurde das Museum im düster gebeizten Ambiente der ehemaligen Ankleideräume des SED-Zentralkomitees, die später der Firma Triumph als Unterwäschestudio dienten. Von Dezember 2006 an wurde es renoviert und im Frühjahr mit neuem Konzept wiedereröffnet.

Das lange Desinteresse der Stadt an einem Museum für seinen 80. Ehrenbürger lässt sich mit der Ambivalenz erklären, die nicht nur Heinrich Zilles Wirken und Werk eigentümlich ist, sondern der auch seine Rezeption unterliegt. Wiewohl in späteren Jahren Mitglied der Akademie und Professor, zu seinem Siebzigsten mit der Sonderschau „Zilles Werdegang“ im Märkischen Museum geehrt, bei welcher Gelegenheit die ungeheure Popularität des Jubilars sichtbar wurde, als hinter diesem „der ganze Wedding stand, der alsbald einen Sturmangriff“ auf die Ausstellung unternahm, wie der damalige Direktor vermerkte, war Heinrich Zille der Ruhm nicht in die Wiege gelegt. Als Kind armer Handwerker hatte er aber das Glück, dass diese ihn nicht davon abhielten, seinen geringen Überschuss in Privatzeichenstunden zu investieren, und im alten Zeichenlehrer Spanner einen zu finden, der Zilles Talent erkannte und ihm eine Lehranstellung beim Lithographenmeister Fritz Hecht verschaffte. Zille wurde Kunsthandwerker, was ihm wie ein Makel anhaften sollte. Erst zur Zeit der Berliner Secession wurde er von Künstlern wie Liebermann, Kollwitz, Barlach oder Meyrinck anerkannt.

Zille arbeitete 30 Jahre lang als Angestellter der „Berliner Photographischen Gesellschaft“ und tat erst 1907 – nachdem man ihn aus Altersgünden entlassen hatte – den Schritt zum selbstständigen Künstler. Er publizierte massenhaft in Illustrierten und verkaufte billige Drucke an das Volk. Zwar erlangte Zille in seinen Porträtskizzen und Aktzeichnungen (annähernd 20.000 dieser „Kritzeleien“, wie er sie nannte, sind erhalten), seinen Radierungen und Lithografien künstlerische Meisterschaft. Dass er diese Meisterschaft nutzte, das elend Menschliche und das menschliche Elend darzustellen, dafür wurde er von denen geliebt, die in diesem Elend lebten – den Verrufenen, dem Subproletariat, der Unterwelt – also dem „fünften Stand“, wie die Bezeichnung lautete, für deren Verwendung sich Zille einsetzte. Dass er sich in diesem „Milljöh“ bestens auskannte und deftige Geschichten zu erzählen hatte von dicken Bäuchen, quellenden Busen und prallen Hintern und diese mit Vehemenz aufschrieb und - zeichnete, mag dem Zugang zu fortschrittlichen Künstlerkreisen nicht abträglich gewesen sein. Allerdings wurde sein Werk in der späteren Rezeption auf diese Arbeiten verkürzt.

Der Berliner Kunsthistoriker Matthias Flügge, selbst Mitglied der Akademie am Pariser Platz und Herausgeber eines Buchs mit Zille-Fotografien, ist einer der wichtigsten privaten Sammler von Zilles Werken. Als solcher, aber auch als Mitglied des Museumsvereins war er maßgeblich an der Konzeption der aktuellen Ausstellung des Heinrich-Zille-Museums beteiligt. Über das wahre Ausmaß seiner Beteiligung äußert er sich zurückhaltend. Seine Interessen liegen dort, wo wissenschaftliche Arbeit zu erbringen ist. Derzeit forscht er über die repro-technischen Leistungen Zilles, gar über mögliche Anteile an Erfindungen wie der des Klischees, einer Technik, mit welcher der Druck von Fotografien in Zeitungen ermöglicht wurde. Flügge will Heinrich Zille denn auch „freilegen von Schichten der Folklore und des triefenden Berlin-Kitsches“. Die aktuelle Ausstellung „Zeichner und Photograph“ ist für ihn ein erster Schritt in dieser Richtung.

Gezeigt werden – bei gedämpfter Beleuchtung, die Originale vertragen nur wenig Licht – an die 50 Skizzen, die Gesichter und Körper, Gebäude und szenische Details, etwa aus dem Schlachthof, zeigen; eine ebensolche Zahl an Aquarellen, Farblithographien, Kreidezeichnungen und Radierungen, darunter auch die Originalkladde „Hurengespräche“, der berühmten, im Wortsinne pornografischen Arbeit. In einem weiteren Raum liegen Originalexemplare des umfangreichen publizierten Werkes: die naiven Abenteuer zweier WK1-Soldaten als Postkartenserie, Illustrierte, Werbung (u. a. auch für die „Zille-Zigarette“). Zu sehen sind auch Abfallergebnisse Zille’schen Schaffens, etwa ein Fehldruck mit kritischen Anmerkungen von Zilles Hand, dem späteren korrigierten Ergebnis gegenübergestellt, oder ein zart bemalter Deckel eines Farbkastens.

Die eigentliche Attraktion des Museums sind jedoch die fotografischen Arbeiten. Denn das fotografische Werk Heinrich Zilles ist der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, obwohl bereits Mitte der 60er Jahre etwa 300 Glas-Negative aus seinem Nachlass auftauchten. Unter den im Museum gezeigten Fotos sind auch dreißig antiquarische Abzüge, wohl von Zilles eigener Hand erstellt. Zille war mit seiner sozialdokumentarischen Fotografie, „in den Jahren 1890 bis 1912 medientechnisch ganz vorn“, so Matthias Flügge, weil er mit Hilfe der Fotografie dokumentarisch arbeitete, um diese Motive in seine grafischen Kompositionen einzubauen.

Pünktlich zum 150. Geburtstag Heinrich Zilles im Januar 2008 organisiert Flügge nun eine große Ausstellung in der Akademie am Pariser Platz, in welcher dessen Werk erstmals angemessen gewürdigt werden soll.

Heinrich-Zille-Museum, Propststr. 11, 10178 Berlin. Montag bis Sonntag von 11–18 Uhr. Eine längere Fassung dieses Texts ist im Review-Magazin /100 erschienen