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Archiv-Artikel

Schreckgespenst Deflation

KRISE Im Dezember sanken erstmals seit 2009 die Preise in der Eurozone. Gefährliches Krisensymptom –oder sogar gut für die Wirtschaft?

„Niedrige Energiepreise sind ein Segen für die Konjunktur“

CHRISTOPH WEIL, COMMERZBANK

VON HANNES KOCH

BERLIN taz | Drama oder nicht? Erstmals seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 sind die Preise im Euroraum vermutlich gesunken. Im Dezember 2014 ging das allgemeine Preisniveau im Vergleich zum Dezember 2013 um 0,2 Prozent zurück, schätzte das Statistikamt Eurostat am Mittwoch. Diese leichte Deflation bedeutet, dass das Leben für die Bürger unter dem Strich etwas billiger wird. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker streiten seit Langem darüber, ob das gut oder schlecht ist.

Der Rückgang beruht vor allem auf den niedrigen Energiepreisen – sie sanken im Jahresvergleich um 6,3 Prozent. Wegen des hohen Angebotes kostet ein Fass Erdöl jetzt weniger als 50 US-Dollar, halb so viel wie vor sechs Monaten. Der Effekt ist auch an den Tankstellen zu sehen: 2014 sparten deutsche Autofahrer im Vergleich zum Vorjahr etwa 5 Milliarden Euro. Auch unverarbeitete Nahrungsmittel wurden im EU-Durchschnitt etwas billiger. Bei allen übrigen Waren blieben die Preise stabil oder stiegen leicht – verarbeitete Lebensmittel, Alkohol und Tabak wurden beispielsweise jeweils um 0,6 Prozent teurer, Dienstleistungen um 1,2 Prozent.

Moderate Preissteigerungen werden meistens für gut gehalten, weil Unternehmen dann investieren und Arbeitsplätze schaffen – unter anderem in Erwartung höherer Erlöse. Deshalb verfolgt die Europäische Zentralbank (EZB) auch das Ziel einer Preissteigerung von jährlich knapp 2 Prozent. Die Angst vor der Deflation begründet sich dagegen aus der Katastrophe nach der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre. Die massiv sinkenden Preise führten damals zur Massenarbeitslosigkeit und leisteten dem Aufstieg der Nationalsozialisten Vorschub. Die gegenwärtige leichte Deflation hält Ökonom Christoph Weil von der Commerzbank dagegen für ungefährlich. Im Gegenteil: „Die niedrigeren Energiepreise sind ein Segen für die lahmende Konjunktur“, sagt Weil. Bei dieser Sichtweise geben Unternehmen und Verbraucher mehr Geld aus, weil die Kosten sinken. Die Firmen haben mehr zu tun und stellen Leute ein. Die fallenden Preise verbilligen zudem europäische Produkte auf den Weltmärkten – insgesamt wirkt das auch wachstumsstimulierend.

Die Gegenposition vertritt unter anderem Silke Tober vom gewerkschaftlich orientierten Institut für Makroökonomie (IMK): Die „sinkende Inflationserwartung“ sei problematisch, weil Unternehmen in Erwartung billigerer Preise Investitionen aufschieben. Das führe zum Abbau von Arbeitsplätzen.

Die Ökonomen empfehlen auch unterschiedliche Reaktionen von Europäischer Zentralbank (EZB) und Politik. Das IMK unterstützt die Ankündigung der EZB, im Notfall abermals große Geldmengen in die Wirtschaft zu pumpen, damit durch das höhere Geldangebot die Preise wieder anziehen. Außerdem sollten Bundesregierung und EU-Kommission das Sparen aufgeben und investieren. Commerzbank-Ökonom Weil hält das für unnötig – wie Bundesfinanzministerium und EU-Kommission.

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