: Syriens unbeugsamer Kranker
Ein großes Wohnzimmer in einem Vorort von Damaskus, Rauchschwaden hängen in der Luft. Riad Seif zündet die nächste Zigarette an. Zwei Feinde habe er, sagt der breitschultrige Mann mit einem entschuldigenden Lächeln: das syrische Regime und das Rauchen. Letzteres hatte er während seiner viereinhalbjährigen Haft besiegt. Doch die Schikanen der Geheimdienste seit seiner Entlassung 2006 hätten ihn wieder zum Kettenraucher gemacht, sagt der Regimekritiker. Seit zweieinhalb Monaten hat Riad Seif einen dritten Feind: Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Der 60-Jährige beantragte die Ausreise zur medizinischen Behandlung in Europa, aber der Staatssicherheitsdienst lehnte ab mit der Begründung, Seif könne sich auch in Syrien behandeln lassen. Dort stehen nur ältere Methoden zur Verfügung, während moderne Formen der Krebstherapie wie im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg in Seifs Fall gute Heilungschancen versprechen.
„Jeder syrische Politiker würde sich in dieser Lage im Ausland behandeln lassen“, betont der Oppositionelle, der 2003 den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar erhielt. Auch die Gutachten zweier syrischer Ärzte und ein Brief des Professors für Urologie im Universitätsklinikum Eppendorf, die eine Behandlung in Hamburg dringend empfehlen, konnten die syrischen Verantwortlichen nicht umstimmen.
Das Regime fürchtet, Seif könnte in Europa politisch arbeiten und sich mit Vertretern der Exilopposition treffen. Eine unbegründete Sorge, versichert dieser. „Ich habe dem Chef des Staatssicherheitsdienstes zugesagt, politisch nicht aktiv zu werden und unmittelbar nach Abschluss der Therapie nach Damaskus zurückzukehren.“
Vergebens. Offensichtlich sieht das Baath-Regime in Seif einen besonders gefährlichen Widersacher – er ist unbeugsam, kompromisslos und populär. Der Sohn eines Zimmermannes arbeitete sich zum erfolgreichen Textilunternehmer hoch. In den 90er Jahren ging er in die Politik. Er kämpfte als unabhängiger Parlamentsabgeordneter für Reformen. Als Baschar al-Assad im Sommer 2000 das Präsidentenamt übernahm und eine Phase politischer Öffnung begann, wurde Seif zu einer Leitfigur dieses Damaszener Frühlings. Das Regime zog die Notbremse: Es hob Seifs Immunität auf und stellte ihn 2001 vor Gericht.
Aus Seifs politischem Kampf ist ein Überlebenskampf geworden. Im Februar 2006 bemühte er sich erfolglos um eine Ausreisegenehmigung für eine Bypassoperation. Herzprobleme und Prostatakrebs sind zu einer Belastungsprobe geworden – für Seifs Gesundheit und die Sturheit des syrischen Regimes. KRISTIN HELBERG