piwik no script img

Archiv-Artikel

Blumenteppich und Schweigen

ATTENTAT I Einen Tag nach dem schrecklichen Angriff auf eine französische Redaktion zeigt sich Berlin besonnen und traurig zugleich. Eine Frage bleibt: Wo gibt es noch eine Ausgabe des „Charlie Hebdo“?

Vor der französischen Botschaft am Pariser Platz liegt mittlerweile ein zwei mal vier Meter großer Teppich aus weißen Rosen und Grablichtern

VON TOBIAS KRONE

Charlie Hebdo?“ – Den haben wir gar nicht abonniert.“ Gaëlle Mignot von der Mediathek im französischen Kulturzentrum Maison de France am Kurfürstendamm musste mit dieser Antwort heute schon einige Interessierte enttäuschen. Bei aller Solidarität mit dem Satireblatt, dessen führende Zeichner am Mittwochmorgen durch Attentäter in ihrer Redaktion getötet wurden – der Charlie Hebdo sei bisher vor allem für seine sehr aggressive satirische Sprache bekannt gewesen, betont Mignot. Nicht alle Franzosen mochten das. Die Mediathek habe sich bisher auf die andere traditionsreiche Satirezeitschrift Le Canard enchaîné beschränkt, deren Humor „weniger exzessiv“ sei. Künftig allerdings werden alle französischen Mediatheken in Deutschland Charlie Hebdo im Programm haben: Aus Solidarität mit der Redaktion, sagt die Bibliothekarin.

In der Mediathek ist es still, nur zwei Frauen sehen sich nach französischer Literatur um, Angst vor einem weiteren Attentat scheint hier niemand zu haben. Anders als in der Friedrichstraße, wo am Vormittag wegen eines Fehlalarms das Kaufhaus Galéries Lafayette evakuiert wurde. Im Foyer des Maison de France dagegen herrscht kontemplative Ruhe. In den Köpfen aber dreht sich noch alles um das Attentat. Fremde Menschen kämen zu ihr, um mit ihr darüber zu reden, sagt die Frau am Empfang des Kulturinstituts. Der Schock auf viele Franzosen sei vergleichbar mit den Terroranschlägen von London oder Madrid, sagt sie. Nur dass hier auch noch die Pressefreiheit attackiert wurde. Viele Mails, die sie bekommt, trügen im Anhang die Solidaritätsbekundung „Je suis Charlie“ – Ich bin Charlie. Die Menschen trotzen dem Terror.

Auch im französischen Gymnasium am Tiergarten gab es heute um zwölf eine Schweigeminute. Der Direktor ließ die Glocke läuten. Zum Schulschluss um 15.30 Uhr stehen die Teenager noch eine Weile zusammen. Sie erzählen von der bedrückenden Stimmung in der Klasse. Mit Lehrern hätten sie in vielen Unterrichtsstunden darüber diskutiert.

Auch die öffentlichen Trauerbekundungen sind groß. Vor der französischen Botschaft am Pariser Platz liegt mittlerweile ein zwei mal vier Meter großer Teppich aus weißen Rosen und Grablichtern. Dazwischen immer wieder Bündel Buntstifte, sie symbolisieren die Achtung vor den toten Künstlern. Ein Fan hat seine Karikatur von den toten Zeichnern dazugelegt, daneben die Botschaft: „Merci pour Charlie, merci pour Harakiri“. Die Verehrung der Satyriker als Märtyrer nimmt hier absurde Züge an.

Am Abend findet erneut eine Kundgebung vor der französischen Botschaft statt. Kurz vor Beginn ein Moment des stillen Trauerns. Als ein Pappkarton mit der Aufschrift „Liberté, Egalité, Humanité“ vom Wind umgeknickt wird, richten ihn eine Mutter und ihre Tochter wieder auf, auch dies eine fast zärtliche Geste – die Sorge um jene Werte, die in Paris brutal niedergeschossen wurden.

Am Freitag sollen auch die deutschen Fahnen auf Halbmast wehen, so hat es Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) angeordnet. Zu konkreten Sicherheitsmaßnahmen würde er sich nicht äußern, doch sichtbar ist der Polizeibus vor jeder Berliner Redaktion. „Das ist durchaus beklemmend“, heißt es in einer Pressemitteilung Henkels, aber auch ein Zeichen dafür, „dass alles getan wird, um die Pressefreiheit zu schützen“.

Am Hauptbahnhof ist das Polizeiaufgebot gering. Und im Regal eines internationalen Zeitschriftenladens klafft eine Lücke. Die vier bis sieben aktuellen Ausgaben des Charlie Hebdo waren gestern sofort ausverkauft, sagt der Verkäufer. Auch im Kreuzberger Comicladen Grober Unfug, wo französische Comics in Originalsprache geführt werden, hätten sie heute schon eine Anfrage erhalten, erklärt der Verkäufer. Doch den Charlie Hebdo haben sie nicht im Angebot. Die letzte Ausgabe ist in ganz Berlin wohl ausverkauft.