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Archiv-Artikel

„Drittbester Rock-’n’-Roll-Tänzer Berlins“

HALBSTARK Rolf Zacher spielte mit Fassbinder und nahm zu viel Heroin. Jetzt erscheint sein Album „Danebenleben“

Rolf Zacher

■ Schauspieler: geb. 1941 in Berlin. Zählt zu den bekanntesten Fernsehgesichtern Deutschlands. Hat in über 200 Kino- und Fernsehfilmen mitgewirkt.

■ Antiheld: Als Darsteller des Kleinganoven Henry in „Endstation Freiheit“ erhielt er 1982 den Bundesfilmpreis. Beliebter Synchronsprecher unter anderem von Nicolas Cage in „Arizona Junior“ und „Wild at Heart“. Zuletzt war er in Doris Dörries Komödie „Die Friseuse“ 2010 auf der Leinwand zu sehen. Soll mit Willy Brandt (SPD) gekifft haben.

■ Sänger: Am 23. September erscheint Zachers zweites Soloalbum „Danebenleben“ bei Premium Records. Musikalisch eine Mischung aus Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg.

INTERVIEW JAN SCHEPER

taz: Herr Zacher, im Auftaktsong „Scheißegal“ auf Ihrem neuen Album heißt es: „20 Tacken Gar Nichts ist mein bestes Kapital“. Kann das Leben so funktionieren?

Rolf Zacher: Ich habe wahnsinnig viel verdient in meinem Leben – alles weg. Ist auch gut so. Geld muss unter die Leute oder du lernst damit umzugehen. Ich wollte das nie lernen. Da gehe ich lieber auf die Bühne und spreche mit den Leuten. Mit den Songs ist es das Gleiche. Ein Künstler sollte nicht nur an seine Karriere denken. Wenn ich erkannt werde, lächle ich und freue mich. Du kriegst sofort Energie zurück.

Sie sind 1941 in Berlin geboren, wie haben Sie die Nachkriegszeit erlebt?

Harte Nummer. Ich war ein Flüchtlingskind. Meinen Vater kannte ich nicht und habe ihn auch nie vermisst. Man sagt, ein Kind ohne Vater sei wie ein Haus ohne Dach. Dadurch habe ich allerdings immer die Sterne gesehen. Eigentlich wollte ich Clown werden. Als kleiner Junge bin ich dem ein oder anderen Wanderzirkus nachgelaufen. Mit 16 fing ich an, mich Laienspielgruppen anzuschließen. In Schöneberg haben wir von Wolfgang Borchert „Draußen vor der Tür“ gespielt. Dann habe ich aber erst Bäcker gelernt. Der Chef war sauer auf mich, weil ich mich mit seiner Tochter – die für den Gesellen gedacht war – immer im Steglitzer Park zum Knutschen getroffen habe. Mein Opa, der Schneider war, hat mir immer gesagt: „Rolf, mach’ in deinem Leben was du machst richtig – mach und trage Qualität.“ Daran habe ich mich gehalten.

Wie sind Sie dann doch Schauspieler geworden?

Entdeckt wurde ich auf der Straße vom Regieassistenten von Peter Lilienthal. Ich erinnere mich an eine prägende Szene am Anfang meiner Karriere: Ich stehe am Savignyplatz auf einem Tisch im Biergarten, halte einen Monolog. Lilienthal sagt, alles super, aber bitte nur die Hälfte davon. Ich rege mich furchtbar auf, gebe klein bei, und wieder heißt es, super, und jetzt noch mal nur die Hälfte. So habe ich Handwerk gelernt.

Sie waren Ende der Fünfziger in München …

Ja, aber eigentlich war ich in Berlin auf der Schauspielschule, im UFA-Nachwuchsstudio. Da blieb ich nur kurz, weil die so überakzentuiert redeten. Ich habe zu der Zeit gelispelt. Ich spielte mit Klaus Kammer am Schillertheater Kafkas „Bericht für eine Akademie“. Er sprach Dialog und ich machte Pantomime. Am Ende hatte ich zwei Sätze als Kellner in der Strafkolonie (lispelt): „Hier, die Wurst.“ Willi Schmidt, der Regisseur, hatte mir vor versammeltem Ensemble mitgeteilt: „Mein lieber junger Freund, Sie sind ja hoch begabt. Aber sprechen, nein, so geht das nicht.“ Dann wurde ich umbesetzt und habe mit einem Korken im Mund so lange geübt, bis es ging. Mir wurde Theater schnell zu eng. Rolf Eden hatte damals einen Laden in der Damaschkestraße in Charlottenburg. Als drittbester Rock-’n’-Roll-Tänzer von Berlin war ich mittendrin und verdiente pro Abend zwischen 50 und 100 Mark.

Es waren auch politisch bewegte Zeiten, wie haben Sie sie erlebt?

Ich habe die Hippiezeit in den Sechzigern erst in München voll mitbekommen. Auch jenseits von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll wurde man damals politisiert. Ich war schon ein Sozi und immer auf den Anti-Vietnam-Demos. Ein Polizist hat mich auch einmal verprügelt …

Sie hatten also Kontakte zur Studentenbewegung?

Na klar. Ich bin eine Zeit lang zu den Veranstaltungen der KPD/ML gegangen. Das war mir aber zu dogmatisch. Als es mit Baader/Meinhof losging, fand ich deren Gedanken zunächst okay. Bis die Gewalt anfing, dafür hatte ich kein Verständnis.

Waren Sie oft in Ostberlin?

Wir hatten wenig Geld und im Osten konnte man billig einkaufen. Nach dem Krieg war ich zunächst im Osten aufgewachsen, in der Nähe von Angermünde. Da saß ich fröhlich am Lagerfeuer und sang: „Ami go home. Spende für den Frieden dein Atom.“ Wir sind dann aber Mitte der Fünfziger wieder nach Berlin gezogen. Ich kam als Halbstarker nach Kreuzberg in die Szene um den Maler Kurt Mühlenhaupt. Erst war ich schockiert, weil die polygam lebten. Doch ich habe so viel über zwischenmenschliche Beziehungen gelernt.

Ihr künstlerischer Durchbruch kam 1980 mit dem Film „Endstation Freiheit“. Sie spielen einen Kleinkriminellen, der ein großes Ding drehen will und scheitert.

Ich war danach zumindest in der New-Wave-Szene ein Begriff. Breiteren Schichten bekannt wurde ich in den Achtzigern durch die Comedy-Serie „Büro, Büro“, die sehr erfolgreich in der ARD lief.

Sie haben in 200 Fernseh- und Kinofilmen mitgewirkt. Sie sind dabei auch auf gefeierte Regisseure wie Reiner Werner Fassbinder getroffen. Gibt es eine ästhetische Prämisse, die sich durch Ihr Leben zieht?

Fassbinder hatte die Maxime: Pro Szene nur eine Klappe. So bin ich auch. Fokussieren, reingehen und Zack. Ich versuche immer, vor der Kamera zu leben. Es geht nicht darum, sich selbst zu spielen. Wir haben alles in uns: die größte Bosheit und die kleinste Zärtlichkeit. Das gilt es abzurufen, auch wenn man danach mal in einem Gefühl, einer Rolle stecken bleibt und Zeit braucht, um sich wieder zu distanzieren.

In Ihrer Biografie finden sich krasse Brüche. Sie wurden nach einem Autounfall heroinabhängig und saßen infolgedessen im Knast.

Ich kam nach einem Dreh aus Spanien („Lautlos Waffen“, 1966) zurück und habe mir von der ersten Gage einen Porsche gekauft. Das Fahrverhalten des Wagens habe ich völlig unterschätzt und mir bei einem Unfall den Rücken gründlich zermatscht. Man gab mir dann Morphium, was nicht wirklich gegen die Schmerzen geholfen hat. Und ich bin aus dem Krankenhaus abgehauen. Als ich nach Hause kam, waren Freunde da. Von denen hat mir dann einer dieses weiße Pulver angeboten und es ging mir schlagartig besser. Ich frage, was das denn sei, und einer flüsterte: Heroin. Ich dachte zwar, da musst du vorsichtig sein, aber gleichzeitig auch: Mir kann da doch nichts passieren. Ich hatte aber keine Ahnung wie schnell das geht. Nach drei Tagen war ich drauf.

Sie haben trotz Sucht viel gearbeitet. Blieb Ihr Zustand völlig unbemerkt?

Niemand hat was gemerkt. Ich habe weiter Geld verdient und funktioniert. Erst als ich anfing, mir das Zeug ins Hotel liefern zu lassen und Fassbinder fünf Stunden auf mich warten musste, begann ich aufzufallen. Ich habe unzählige Male versucht, aufzuhören. Erst Anfang der Achtziger kam ich wieder runter. Dann kam „Endstation Freiheit“. Da habe ich mir alles von der Seele gespielt. Ich hatte zuvor Vergleichbares erlebt und war im Gefängnis gewesen. Gerade diese Zeit habe ich genutzt. Ich wollte ursprünglich nach Tibet ins Kloster gehen. Wenn du dann in der Zelle sitzt, kommt zuerst das Selbstmitleid, das musst du erkennen, und dann habe ich mir gesagt: „Zacher, das ist dein Tibet hier.“

Kommen wir zurück zur Musik. Sie waren Gastsänger bei Amon Düül II. Wie kam es dazu?

Ich war habe immer Mucke gemacht und Songs geschrieben. In der Hippiezeit in München war pausenlos Musik um einen rum. Da lernte ich John Weinzierl von Amon Düül II kennen, der ein Katzenliebhaber war. Ich hatte in der Zeit gerade welche. Also griff ich mir ein paar meiner Katzen und stiefelte los. Dann habe ich Weinzierl die Katzen geschenkt, bin mit ihm in den Proberaum gegangen und habe was eingesungen. So ist meine Stimme im Song „Deutsch Nepal“ gelandet. Ich war fast ein Jahr mit der Band auf Tour.

Mit „Danebenleben“ erscheint nächste Woche Ihr zweites Soloalbum. Sonst schreiben Sie gerne selbst, warum diesmal nicht?

Ich hatte schlicht keine Zeit. Ich schrieb gerade an meinem zweiten Buch. Die Songtexte habe ich das erste Mal während der Aufnahme gelesen.

Also das bewährte Modell, alles nur mit einer Klappe?

Genau. Ich bin, wenn man so will, nicht ins kalte, sondern ins lauwarme Wasser gesprungen. Das ging problemlos. Musik öffnet eben die Seele.

Und mit offener Seele singen Sie dann: „Zwischen einem Helden und einem Vollidioten ist nur ein schmaler Strich.“ Sind Sie eine Mischung aus beidem?

Was ist schon ein Held? Heldentum hat immer auch eine stupide Seite, etwas Ausgebranntes. Deswegen wollte ich nie ein Held sein.