: „Der Klimaschutz ist finanzierbar“
Um die globale Erwärmung zu stabilisieren, sind weniger als ein Prozent der globalen Investitionen nötig. Und auch sonst gibt es in der Vorbereitung auf die Weltklimakonferenz „positive Signale“, meint die deutsche Chefdiplomatin Nicole Wilke
NICOLE WILKE, 43, ist Referatsleiterin im Bundesumweltministerium und Unterhändlerin in internationalen Klimafragen.
INTERVIEW NICK REIMER
taz: Frau Wilke, zu den strittigsten Fragen beim Klimaschutz gehört die Finanzierung. Ist man da auf der Konferenz in Wien vorangekommen?
Nicole Wilke: Die Vertragsstaaten hatten das Klimasekretariat gebeten, zusammenzutragen, welche Investitionen für eine klimafreundliche Zukunft erforderlich sind. Das Ergebnis wurde hier präsentiert. Die zentrale Botschaft ist: Klimaschutz ist finanzierbar. Auch wenn die erforderlichen Investitionen bis 2030 mit 200 bis 210 Milliarden US-Dollar hoch erscheinen, sind dies weniger als 1 Prozent der globalen Investitionen und 0,26 Prozent des globalen Sozialprodukts in 2030. Private Investitionen haben den größten Anteil. Sie werden durch den weltweiten Handel mit CO2-Zertifikaten in klimafreundliche Bereiche gelenkt. Unterstützend wirken Regulierungen wie das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Wollen auch die Entwicklungsländer mehr zur Reduktion beitragen?
Die Entwicklungsländer haben betont, dass sie bereits jetzt eine Menge tun. Allerdings lehnen die meisten verbindliche Minderungsmaßnahmen ab. Einzelne Länder, wie Mexiko, Brasilien oder Südafrika, haben signalisiert, dass sie – wenn es stärkere Anreize für sie gibt – deutlich mehr tun wollen. Anreiz könnte etwa ein besserer Zugang zum weltweiten Kohlenstoffmarkt sein. Hierüber wollen wir in Bali verhandeln.
Heißt das: Diese Länder sind bereit, sich eigene Reduktionsziele zu geben?
Eindeutig nein. Das wäre auch vermessen. Wir haben als EU immer deutlich gemacht, dass absolute Emissionsminderungsverpflichtungen derzeit nur für die Industrieländer gelten sollen. Für die Entwicklungsländer muss es darum gehen, dass ihre Kohlendioxid-Emissionen schwächer wachsen als ihr Bruttosozialprodukt – dass also die Wirtschaftsentwicklung vom Energiehunger abgekoppelt wird. Angesichts der Entwicklungsunterschiede und der Pro-Kopf-Emissionen in den Entwicklungsländern wäre es nicht fair, Reduktionsverpflichtungen einzufordern: Die Pro-Kopf-Emissionen liegen in Ländern wie China, Mexiko oder Brasilien immer noch um ein Mehrfaches unter denen der Industrieländer. Länder wie China oder Indien machen heute schon eine ganze Menge für den Klimaschutz: Ihre Wirtschaft wächst deutlich schneller als die Emissionen. Das sollte man nie unterschätzen.
Die USA oder Australien wollen nur dann in die Post-Kioto-Phase einsteigen, wenn die Schwellenländer auch einen Beitrag leisten. Hat die Weltklimakonferenz in Bali unter dieser Voraussetzung überhaupt eine Chance?
Im Dezember findet in Bali eine weltweite Klimakonferenz statt, auf der umfassende Verhandlungen über ein Klimaschutzabkommen für die Zeit nach 2012 beschlossen werden sollen – dann läuft das Kioto-Abkommen aus. Auf einem Vorbereitungstreffen loteten mehr als 1.000 Experten der Klimadiplomatie in Wien in den letzten Tagen unter anderem die Möglichkeiten der Entwicklungsländer aus, mehr für den Klimaschutz zu tun. Jenseits der Konferenz stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag während ihres Besuchs in Japan ein mögliches Modell zur Reduzierung der Treibhausgasproduktion vor. Dieses soll die Interessen von Schwellen- und Industrieländern gleichermaßen berücksichtigen und basiert auf einer weltweit einheitlichen Pro-Kopf-Grenze für den Ausstoß von CO2. Wenn die Industrieländer sich dazu auf Merkels Ziel festlegen würden, die CO2-Emissionen bis 2050 zu halbieren, ergäbe sich praktisch ein Wettbewerb: Schnell wachsende Schwellenländer wie China oder Indien hätten noch Spielraum, bis sie zum Pro-Kopf-Ausstoß der Industrieländer aufgeschlossen haben. Den könnten sie nutzen, um ihr Wachstum klimafreundlicher zu gestalten. Die Industrieländer wiederum müssten versuchen, ihren Energieverbrauch so schnell wie möglich zu senken. Der künftige Grenzwert soll an dem Punkt liegen, an dem erstmals beide Gruppen den gleichen Pro-Kopf-Ausstoß haben. Das Modell basiert auf einer Idee, die der indische Ministerpräsident Manmohan Singh im Juni auf dem G-8-Gipfel vorgestellt hatte.
In Wien ging es darum, zu klären, ob wir auf der Weltklimakonferenz in einen umfassenden Verhandlungsprozess eintreten können. Es gibt – vorsichtig formuliert – positive Signale.
Wunderbares Diplomaten-Sprech. Was heißt das?
Sie haben Bereitschaft signalisiert, Verhandlungen zu beginnen. Darüber, wie diese aussehen sollen, gibt es noch sehr unterschiedliche Vorstellungen. Es gibt also noch zu tun in Bali.