Ruhig auch mal versagen

Gerade in der Erfolgsgesellschaft muss einem doch nicht alles gelingen

VON THOMAS MAUCH

Natürlich möchte man kein Versager sein. Trotzdem. Das Wort kann man doch mal anprobieren, ob es einem steht. Vielleicht braucht es den Mumm eines Punkrockers, um seine Band genau so zu nennen: Versager. Aber die Popmusik hat noch stets jeden Trend aufgespürt, bevor er sich allgemein herumgesprochen hat. Und in seinem „kleinen Manifest“ bekennt der seit Jahren recht erfolgreich wirkende Club der polnischen Versager feinsinnig: „Wir stolpern auf dem geraden Weg.“ Am heutigen Samstag eröffnet er sein neues Domizil für die Mitte-Boheme in der Berliner Ackerstraße. Auch Tabuzonen beim Versagen gibt es keine mehr. Erst kürzlich schaute Bild bei der klassischen Versagerdomäne unter die Bettdecke. Groß gelettert war am 30. Juli auf der Seite eins zu lesen: „Schicksal Impotenz. Männer brechen ihr Schweigen.“

Wer aber nicht von seinem Versagen reden will, sagt bis auf Weiteres eben Scheitern dazu. Das ist in der Gesellschaft angekommen. Titel wie „Buch des Scheiterns“ oder „Scheitern für Fortgeschrittene“, eine erfolgreiche Hörspielproduktion, säumen nur ein Terrain, auf dem unverhohlen ein „Lob des Scheiterns“ ausgesprochen wird. Dieses „Scheitern als Chance“ aber ist nur der alte Volksmund, der schon immer wusste, dass man aus seinen Fehlern lernen solle. Wie ja die Flexibilität in allen Dingen zum Anforderungsprofil des zeitgemäßen Bürgers zählt. Hier heißt ein Lob des Scheiterns also: „Hinfallen kann jeder. Jetzt steh aber gefälligst wieder auf. Du bist für deinen Erfolg verantwortlich. Und lieg bloß nicht dem Staat auf der Tasche herum!“

Dass nun frohgemut gescheitert werden darf, ist allerdings sprachliche Rosstäuscherei. Scheitern wie Versagen: beides meint ein Nichtgelingen. Wie es jedoch dazu gekommen ist, macht den Unterschied. Scheitern hat dabei den Vorteil, eigentlichen gar nicht daran schuld zu sein. Man scheitert schließlich an etwas. Die Umstände, das Schicksal und vielleicht sogar Gott haben es nicht gewollt, dass einem etwas gelingt. Beim Versagen aber ist man mit sich allein. Man scheitert an sich selbst. An seinem Unvermögen.

Weil diese Erkenntnis schmerzlich ist, werden Niederlagen als schickes Scheitern getarnt. Selbst wenn sich dahinter schnödes Versagen birgt. Scheitern: hat einfach mehr Glamour als das banale Versagen und deswegen als Wort auch ein besseres Standing in der Medienlandschaft, die gerade den Wechsel von der Leistungs- zur Erfolgsgesellschaft spiegelt. „Früher musste man gut sein, heute genügt es, der Beste zu sein“, weiß der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger dazu. Eine verquere Dialektik, in der sich auch das Versagen neu bewertet platzieren muss. Weil Erfolg ja nicht mit Gelingen gleichzusetzen ist. Deshalb steht es überhaupt nicht im Widerspruch dazu, dass man sich im Fernsehen die „Big Brother“-Varianten nicht deswegen anschaut, weil bei diesen Ausscheidungen einer gewinnen wird, sei es als Überlebender auf einer Insel, als Supermodel oder nur als tapsiger Auswanderer in fremder Umgebung. Das wäre ein kurzes Vergnügen. Sondern man sitzt vor der Glotze doch wegen der vielen Mitwettbewerber, die bei diesen Spielen versagen. Ach ja, erinnert sich noch wer an irgendeinen Gewinner der Staffel „Deutschland sucht den Superstar“?

Daniel Küblböck übrigens hat bei der ersten Ausgabe der RTL-Castingshow nicht gewonnen. Seine fortdauernde Medienpräsenz jedoch hat viel mit dieser Niederlage zu tun, medial aufgeplustert natürlich, so wie sich die Medien überhaupt als gut gepolsterte Bank für Reserveprominenz anbieten. Sicher darf man sich sein, dass etwa Heide Simonis 2006 bei der Tanzshow „Let’s dance“ nicht mitgemacht hätte, wenn sie nicht ein Jahr davor bei der Wiederwahl zur Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins gescheitert wäre. Kein Zufall auch, dass sie bei der Show auf den einstigen Zehnkämpfer Jürgen Hingsen traf, der seine Restprominenz nicht zuletzt seinem Versagen bei den Olympischen Spielen 1988 verdankt.

Jetzt soll die mediale Welt aber nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden, in der wir ja auch leben müssen, mit unserem ganz persönlichen Versagen. Und die Versager formieren sich. Beim Flanieren durchs Netz findet sich für jedes Misslingen das passende Forum. Beim frisch eingerichteten Cock-up-Club („cock-up“ nennt man im Englischen einen blöden Fehler) darf man sich sogar in Gesellschaft mit Everest-Besteigern nach britischer Tradition ganz spleenig mit seinem Missgeschick brüsten. Entsprechendes Cock-up-Merchandize gibt es natürlich auch (www .cockupclub.co.uk).

Zweierlei mag hinter dem Drang stecken, mit seinem Versagen an die Öffentlichkeit zu gehen: erstens die Hoffnung auf Distinktionsgewinn (mit Leistung brüstet sich doch jeder). Und andererseits der Stand der Technik. Telefonüberwachung allerorten. Macht man es nicht selbst, werden schon die anderen dafür sorgen, weil mit jedem Handy alle Missgeschicke gefilmt und in die Welt gebracht werden können. Das Versagen hat seinen intimen Charakter verloren.

Dazwischen aber rührt sich an der neuen Lust am Versagen – alle Widersprüche aushaltend – etwas Drittes: die Sehnsucht nach „Normalität“. Dass zum Beispiel in der Dove-Werbung Frauen für die Kosmetikprodukte auftreten, die nach sonst gängigem Schönheitsideal nur zweite Wahl sind, gräbt direkt an der Wortwurzel von „Versagen“. Man sollte sich daran erinnern, dass Versagen eine aktive Leistung ist. Willenssache. „Versagen“ nämlich leitet sich aus „sich etwas versagen“ ab. Also bewusste Verweigerung. In Sachen Dove sagen die Frauen auf den Plakaten deshalb: „Mag schon sein, dass wir Diät-Versager sind, aber auf derlei Hungerleiderei haben wir keine Lust mehr. Solchen Diäten versagen wir uns. Es gibt schließlich Besseres im Leben, als so auszusehen, wie uns andere sehen wollen.“

Es ist an der Zeit, auf sein Versagen auch mal stolz zu sein. Versagen ist schließlich etwas, was wir alle können.

THOMAS MAUCH, Jahrgang 1960, steht dem Versagen noch abwartend gegenüber und ist außerdem taz-Redakteur