: „Beißen ist eine Technik, die ich heute noch anwende“
DIE ROCK-’N’-ROLL-MASSEURIN Sie kennt die Rücken der Rolling Stones, von Lady Gaga und Mariah Carey, von Depeche Mode und den Red Hot Chili Peppers. Dr Dot massiert die Stars seit vielen Jahren. Ursprünglich, um umsonst in deren Konzerte zu kommen. Dann wurde ein Beruf daraus. Aus den USA verschlug es sie nach Berlin. Mittlerweile lässt sie Angestellte in aller Welt die Stars massieren
■ Die Frau: Dorothy „Dot“ Stein wurde Ende der Sechziger in Connecticut an der US-amerikanischen Ostküste geboren. Seit ihrer Kindheit stehen für sie vor allem zwei Dinge im Mittelpunkt: Musik und Massage. In der Schule war ihr Spitzname noch „Dot Jagger“ – wegen ihrer Begeisterung für die Rolling Stones. Frank Zappa machte sie 1988 zu „Dr Dot“ – bei diesem Künstlernamen ist es geblieben. Stein hat eine erwachsene Tochter und einen kleinen Sohn.
■ Die Massagen: Mit 15 wollte sie ihren Lieblingsstars so nah wie möglich kommen, hatte aber keine Lust auf die klassische Groupie-Karriere. Bei einem Def-Leppard-Konzert bot sie stattdessen an, was sie hervorragend konnte – massieren. Schon bald begleitete sie die Grateful Dead und die Rolling Stones auf Tournee. Bis heute war sie gratis auf rund 3.000 Konzerten. Für die Massagen nimmt sie aber längst Geld. Die Liste ihrer zufriedenen Kunden ist so lang wie bunt: Von den Ramones über Herbie Hancock über Nick Cave über Norbert Blüm über Ice T über Bob Geldof über die Fugees über Rosenstolz bis Marilyn Manson.
■ Der Standort: Dr Dot lebte von 1989 bis 2000 ausschließlich in Berlin, seitdem pendelt sie zwischen Spree und Hudson River. Gleichzeitig organisiert sie ein Heer an „Dotbots“, Masseurinnen und Masseuren, die in ihrem Namen auf der ganzen Welt zupacken. Eigentlich würde Dr Dot am liebsten in Liverpool leben – der Stadt ihrer heißgeliebten Beatles.
INTERVIEW JACINTA NANDI UND CLAUDIUS PRÖSSER FOTOS THOMAS BÖHME
taz: Dr Dot, vor Kurzem war Lenny Kravitz in Berlin und Sie haben ihn massiert. Wie läuft so etwas überhaupt? Werden Sie da spontan in den Backstagebereich gerufen?
Dr Dot: Das ist unterschiedlich. Es gibt welche, die rufen kurzfristig an, aber meist ist es lange gebucht. Manchmal organisiere ich die Betreuung auf einer gesamten Tournee, zum Beispiel jetzt gerade für Sinead O’Connor. Jeden Tag bekommt sie eine oder zwei Massagen von jemandem aus meinem Team. Oder Zucchero, um den kümmern wir uns auch exklusiv.
Ihr Team, das sind die sogenannten „Dotbots“.
Ja, es gibt 900 Dotbots in ganz vielen Ländern. (Schaut in ihren Rechner) 908 sind es gerade, um genau zu sein. Einige bieten auch Spa-Behandlungen an, Maniküre, Pediküre, sogar Akupunktur. Wenn Bruce Springsteen um zwei Uhr morgens in Tampa (Florida) ein facial treatment will, muss ich das organisieren, sofort. Die wollen das und sie wollen es jetzt.
Wenn Sie selbst Musiker massieren, machen Sie das eher vor oder nach dem Konzert?
Da gibt es auch kein Rezept. Manchmal davor, kurz und kräftig, manchmal danach, langsam und tief. Viele wollen vor dem Konzert keine Massage, weil sie dann zu relaxed sind.
Welche Technik wenden Sie an?
Tiefengewebemassage. Ich bin bekannt für meinen harten Griff. Wie ein Todesgriff! Ich mache das eben, seit ich fünf bin.
Fünf?
Meine Eltern waren Hippies. Richtige Hippies! 1970 war ich ein kleines Mädchen, bei uns lief den ganzen Tag Hendrix und Zappa. Einen Fernseher gab es nicht, aber immer lagen Leute auf dem Boden herum und waren stoned oder fickten. Es roch ständig nach pot, weil mein Papa das Zeug im Ofen getrocknet hat. Aber er war eben jung, gerade mal 17.
Das ist wirklich sehr jung.
Er hatte mich adoptiert. Meine Mama war 16, als sie mich bekam. Mein biologischer Vater war ein Italiener aus Venedig. Er war nach Connecticut gekommen und fickte alle Frauen, weil er so gut aussah. Dabei war er so eingebildet, dass er jeder sagte: Pass auf, du kriegst das nur einmal! Aber meiner Mama hat er es dreimal gemacht, weil sie sehr schön war. Ich wurde auf dem Rücksitz eines Ford Mustang gezeugt. Als meine Mutter schwanger wurde, hat er arrivederci gesagt. Ich kenne nur Bilder von ihm, er hat sich umgebracht, als er 27 war.
Zurück zu den Massagen.
Ja. Es lagen also ständig Leute auf dem Boden herum, und ich bin über ihre Rücken geklettert. Das fanden sie gut und wollten, dass ich sie massiere. Manche haben gesagt: Deine Hände sind nicht stark genug, beiß mich! Das habe ich getan. Beißen ist heute noch eine Spezialtechnik, die ich anwende. Ich erinnere mich kaum an meine Schulzeit, für mich gab es immer nur Musik und Massage. An ein Leben ohne Musik und Massage kann ich mich nicht erinnern.
Wie ging es dann weiter?
Mein Vater ging zur Navy und reparierte Flugzeuge bei denen. Deshalb zogen wir von Standort zu Standort. Louisiana, New Hampshire, Maine, Tennessee, Virginia und wieder Connecti cut. Ich habe 15 verschiedene Schulen besucht und als Neue jedes Mal Prügel kassiert. Ich hatte nie Zeit, richtige Freunde kennenzulernen, weil wir so viel umgezogen sind. Aber so bin ich ein sehr extrovertierter Mensch geworden.
Wann fingen Sie damit an, Musiker zu massieren?
Ich war 15, als ich auf ein Konzert von Def Leppard wollte und kein Geld dafür hatte. Dann habe ich der Crew gesagt: Ein Ticket habe ich nicht, aber ich kann euch alle gratis massieren! So fing das an, und irgendwann habe ich praktisch jeden Tag massiert, um in Konzerte zu kommen. 1988 war ich mit Frank Zappa auf Tournee, ich habe ihn jeden Tag massiert und seine ganze Band und Techniker. Dafür durfte ich bei jeder Show dabei sein.
Wie kamen Sie nach Berlin?
1989 habe ich einen Deutschen kennengelernt, einen Düsseldorfer. Ich war total verknallt und sechs Monate später schwanger. Als unser Baby einen Monat alt war, haben wir gemerkt, dass Amerika uns nichts gibt, kein Kindergeld, kein Erziehungsgeld. Wir waren beide Anfang zwanzig, er war Student, wir hatten keine Kohle und sind nach Berlin geflüchtet.
Und hier haben Sie angefangen, Geld für die Massagen zu verlangen?
Erst später. Vorher habe ich alles Mögliche gemacht. Ich war Putzfrau, ich habe im Europacenter Aschenbecher geleert, ich habe Jingles für den britischen Army-Sender BFBS eingesprochen. Den Soldaten habe ich kissagrams aus ihrer Heimat überbracht, also Grußbotschaften, die man in einer sexy Uniform abliefert. Ich habe im American PX gearbeitet, dem Kaufhaus für die US-Soldaten, bis ich gefeuert wurde, weil ich in einen Becher gepinkelt hatte. Aber das war ein riesiger Laden, und das verdammte Klo war so weit weg! Und nebenher habe ich die ganze Zeit massiert, alle, die nach Berlin kamen – Guns N’ Roses, Bob Geldof … Geld habe ich dafür erst ab 1994 genommen, dank Charlie Watts, dem Drummer der Stones.
Der hat Sie auf die Idee gebracht?
Er hat mich damals nach Toronto geholt, wo die Stones immer monatelang Proben machen. Ich habe alle massiert. Als Charlie dran gewesen war, fragte er: „Und, was kriegst du dafür?“ Ich: „Nichts, du bist doch mein Held!“ Und Charlie: „Dot, niemand nimmt dich ernst, wenn du kein Geld verlangst!“ Da habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Okay, das ging schrittweise. Anfang der Neunziger habe ich Bon Jovi in Berlin massiert und gesagt: „Ihr braucht nichts zu bezahlen, gebt mir einfach zehn Eintrittskarten.“ Die habe ich natürlich verkauft, für hundert Mark das Stück. (lacht laut)
Hat sich doch gelohnt!
Ja, aber eigentlich bin ich keine gute Geschäftsfrau, auch wenn ich es versuche. Als Waage bin ich eine people person. Ich bin gut mit Menschen, ich liebe die Liebe, aber mit Geld habe ich es nicht so. Und Zeit für Sex habe ich auch nicht. Ich habe noch nicht mal Zeit mir einen runterzuholen! (lacht noch lauter)
Apropos: Nebenbei schreiben Sie eine Sex-Beratungs-Kolumne für das englischsprachige Magazin Ex-Berliner . Gibt es bei Ihnen eine Schnittmenge zwischen Massage und Sex?
Überhaupt nicht. Das mit der Kolumne kommt daher, dass viele Klienten bei der Massage mit mir reden und mich um Rat in ganz persönlichen Dingen fragen. Daraus ist irgendwann ein Blog geworden und dann die Kolumne. Klar: Alle denken, ich habe Sex mit den Stars, die ich massiere. Aber ich habe noch nie Sex für Geld gehabt. Warum sollte ich das mit mürrischen alten Stars tun? Die Männer, mit denen ich schlafe, müssen jung sein, helle Augen und dunkle Haare haben, sie müssen größer sein als ich und gut riechen. Ich habe da meine Checkliste.
Und dieses … Schwesternkostüm, in dem man Sie auf vielen Fotos sieht?
Ich war mal eine Zeit lang ein bisschen berühmt in Deutschland, so um 1999, ich war im Fernsehen bei Jürgen von der Lippe, Johannes B. Kerner und wie diese ganzen Leute heißen. Am Anfang habe ich T-Shirt und Jogginghose getragen, so wie ich halt bin, so, wie ich auch massiere. Aber dann meinte der Playboy: „Ach, du nennst dich ‚Doctor‘? Na, dann solltest du dich auch wie eine Ärztin anziehen!“ Haha! Lustig! Ich habe dieses Schwesternkostüm angezogen und kam aus der Sex-Schublade nicht mehr raus. Auch der Fotograf für unser Interview wollte, dass ich das Kostüm noch mal anziehe! So ist das eben im Showbusiness.
Angeblich waren Sie auch mit Bruce Willis zusammen.
Ich hatte damals einen geldgierigen Manager, der diese Geschichte ausschlachten wollte. Er wollte sogar, dass ich behaupte, ich sei von ihm schwanger, was überhaupt nicht stimmte. Allerdings hat Bruce Willis den größten Penis der Welt. Sein Penis braucht eine eigene Postleitzahl.
Oha. Und er ist Republikaner.
Ja, er ist ein bisschen rechts. Aber linke Filmstars werden in den USA doch gehasst. Jemand wie Susan Sarandon. Aber Demokraten, Republikaner … am Ende ist das doch alles dasselbe. Ein paar Superreiche bestimmen, wo es lang geht, und die Leute schlucken alles runter. Wissen Sie, warum in Amerika niemand protestiert? Weil bei uns das Wasser fluoridiert ist.
Echt?
Ja, hier wird das nicht gemacht, deswegen sind die Deutschen politischer. Wissen Sie, was Fluor im Trinkwasser bewirkt? Es macht dich gleichgültig und Männer kriegen keinen mehr hoch. Klar, die Zähne werden auch besser davon. Deswegen haben die Amis alle gute Zähne und schlaffe Schwänze. Sie sitzen auf dem Sofa rum, werden fett und kriegen Krebs. Die Deutschen dagegen haben beschissene Zähne und harte Schwänze. Und sie protestieren mehr.
Glauben Sie noch an andere Verschwörungstheorien?
Der 11. September war ein inside job, hundertprozentig. Wer soll denn das glauben – die Flugschreiber zerstört, aber die Pässe der Attentäter nicht? Come on. Das war ein Riesenfake!
Apropos: Heute pendeln Sie zwischen Berlin und New York.
Ja, seit fast 15 Jahren, ich kann mich einfach nicht entscheiden. Genau genommen wohne ich in Hoboken, New Jersey, aber von meinem Fenster aus sehe ich ganz Manhattan. Ich habe da eine tolle Wohnung, dagegen ist das hier Camping! Aber wenn ich dann überlege, Berlin zu verlassen, denke ich wieder, wie teuer das Leben da drüben doch ist. Die Kita kostet in New Jersey 2.000 Dollar im Monat. Hier kostet sie 88 Euro. What the fuck! Und die Luftverschmutzung! Ich habe Rauchmelder in meiner Wohnung in New Jersey, die auf Kohlenmonoxid anschlagen. Wenn ich meine Fenster aufmache, gehen die an! (lacht)
Berlin ist sauberer?
Es ist sauberer und billiger und schöner, es gibt mehr Grün, und man kann überall zu Fuß hingehen. Ich habe hier kein Auto. Bevor ich mein Baby bekommen habe, war ich ganz oft auf Rollerblades unterwegs. Auch das Essen ist besser.
Und welche Nachteile hat Berlin als Stadt?
Okay, wenn ihr es unbedingt hören wollt: Berliner sind so was von mies drauf! Hier (springt auf und sucht ein Zitat auf ihrem Rechner): „Es lebt in Berlin ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten.“ Wer hat das gesagt? Goethe! Also, bevor jetzt wieder jemand sagt: „Halt die Klappe, du Ami-Dreck! Du oberflächliche Tussi!“ – der sollte erst mal Goethe lesen. Ich hasse das so sehr, diese Art, dieses (imitiert ein Keifen) „Nänänäää, das ist hier kein Fahrradweeeg!“ Fuck you! In New York lachen alle. Und dabei gilt es als unfreundlichste Stadt der USA!
Fühlen Sie sich als US-Amerikanerin in Deutschland wohl?
Wohl? 99 Prozent der Deutschen hassen die Amerikaner! Schon okay, dafür gibt es Gründe, mit denen ich nichts zu tun habe. Aber muss man das an mir auslassen? Wenn ein Deutscher nach New York kommt, schreien ihm auch nicht alle ins Gesicht: Ihr habt den Holocaust gemacht, ihr motherfuckers!
Zurück zu den Stars und den Massagen. Kann man davon eigentlich gut leben?
(seufzt) Eigentlich müsste ich Millionärin sein. Und zwar allein von dem, was ich hier in meiner Wohnung verdiene, am Rechner, im Schlafanzug. Ich kriege 20 Prozent von meinen Angestellten. Aber ich kann das Geld einfach nicht zusammenhalten, ich habe ein großes Herz. Was glauben Sie, was ich dem Vater meines Babys bezahle? Sobald man Erfolg hat, kommen die ganzen Blutegel angekrochen. Das geht nicht nur Männern so, sondern auch erfolgreichen Frauen: Cher, Mariah Carey, Madonna, …
Sie haben schon so viele berühmte Leute massiert – wer fehlt Ihnen da noch?
Madonna natürlich, aber die hat ihren eigenen Masseur, einen Japaner. Und Ringo Starr. Ricky Gervais … und Sasha Baron Cohen!
Würden Sie irgendeinen Berliner gerne massieren?
Jetzt müsste mir schnell jemand einfallen, was? (denkt nach)
Und Deutsche allgemein?Ach, na ja … Stefan Raab habe ich massiert, der ist lustig. Aber dieser andere Typ, der von „Wetten, dass ..?“…
Markus Lanz?!
Nein … Thomas Gottschalk. Der ist ein Arschloch.
So schlimm?
He’s a fucking arsehole! Total unfreundlich zu seinen Fans. Es gibt keinen Grund, unfreundlich zu sein, nur weil man bekannt ist. Ich habe ihn auch nicht massiert, ich habe ihn nur ein paar Mal getroffen.
Und deutsche, äh, Rockstars?
Sagen wir mal so: Die Deutschen machen gute Autos und gutes Brot. Bleibt dabei, okay? Lasst die Engländer die Musik und die Amis die fucking Filme machen.
Mussten Sie schon mal jemanden massieren, dessen Musik Sie wirklich nicht mögen?Die ich wirklich mag?
Nicht mögen.
Ja klar! Die ganze Zeit! Glauben Sie wirklich, ich höre Mötley Crüe? Ich höre die Beatles, ich höre Jimi Hendrix, ich höre Frank Zappa. Ich bin ein Hippie!
Dürfen wir das drucken? Nicht, dass Sie Kunden verlieren.
Natürlich, ihr könnt das alles drucken. I don’t give a shit. (lacht schallend)
■ Massage gefällig? Hier kann man buchen: www.drdot.com