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Archiv-Artikel

Das erfreut sogar die Betroffenen

COMIC Neues vom beliebten Comiczeichner OL. Sein Band „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ treibt den alltäglichen Kulturkampf zwischen Einheimischen und Zugereisten in Prenzlauer Berg mal wieder auf die Spitze

Die Bösen sind die reichen Schwaben, die Guten sind die armen Berliner

VON THOMAS WINKLER

Ich gestehe: Ich habe mal in Prenzlauer Berg gewohnt. Wohlgemerkt: in. Im Prenzlauer Berg hab ich nie gewohnt. Auf dem Prenzlauer Berg sowieso nicht. Ich hatte sogar Kinder. Aber es war eine andere Zeit. Bevor man die Kinder in den Sandkasten schicken konnte, musste man erst mal die Schnapsflaschenscherben einsammeln. Das war Scheiße. Es gab weit und breit nur einen einzigen Bioladen. Der war in der Husemannstraße, im Souterrain, klein, muffig und viel zu teuer. Wenn ich die Kinder aus dem Kindergarten abholte und mit dem Fahrrad am Wasserturm oder am Kollwitzplatz vorbeirollte, saßen in den kürzlich eröffneten Cafés junge, kreative Menschen und blinzelten verkatert in die Sonne.

In denselben Cafés und in denen, die seitdem auch noch aufgemacht haben, sitzen heute Touristen. Die Kunden von damals sitzen auf dem Spielplatz ein paar Meter weiter, sind nur noch selten verkatert und passen auf ihre Kinder auf. Auf alle zusammen passt wiederum OL auf und zeichnet dann „Die Mütter vom Kollwitzplatz“. Das darf man dann einmal die Woche in der Berliner Zeitung lesen. Oder jetzt endlich in einem Buch.

Dabei stellt man fest: So ein Kulturkampf kann ziemlich lustig sein. Jedenfalls bei OL. Denn um nichts weniger handelt es sich ja. Das Schlagwort ist Gentrifizierung, die Bösen sind die reichen Schwaben, die Guten sind die armen Berliner, die von den Bösen vertrieben werden und deshalb „Schwaben raus!“ an Häuserwände malen. Klingt einfach. Ist es aber natürlich nicht. Eine der vielen Fragen, die das so kompliziert machen, ist: Wie lange muss man in Berlin gelebt haben, um zu den Guten zu gehören?

Humor aber benötigt geordnete Verhältnisse. Deshalb braucht es einen wie OL, um einen so vielschichtigen und komplexen Konflikt in kurze, prägnante Pointen aufzulösen. Denn OL, der eigentlich Olaf Schwarzbach heißt, wohnt schon, abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel in München, seit seiner Geburt vor 46 Jahren in Berlin. Das macht ihn zu keinem besseren Menschen als all die, die seitdem hierhergezogen sind. Aber es stellt ihn automatisch und felsenfest auf die Seite, auf der alle stehen, die sich für die Guten halten. Und es sorgt offensichtlich auch für eine gewisse Einsamkeit und Verbitterung. Die kanalisiert OL dann in bunte Bilder und beißende Häme, die vor allem jene dem Klischee nach meist schwäbischen Mutterschiffe trifft, die den Prenzlauer Berg durchpflügen und ihre Töchter warnen: „Und wenn dir ein fremder Mann Bonbons anbietet, fragst du, ob sie zuckerfrei sind.“

OL behauptet allerdings, er würde den Müttern, die er allwöchentlich karikiert, gar nicht zuhören. Er würde nur gucken und sich selber Dialoge ausdenken. Für einen, der nicht hört, guckt er allerdings ziemlich genau hin, wenn wieder eine Grauhaarige ihr Neugeborenes den Kollwitzplatz entlangschiebt. „Mama“, fragt ein Kind, „was machen denn die Omas mit den Kinderwagen?“. – „Bist du still!“, lässt OL die Mama antworten: „Das sind Spätgebärende“. Manchmal sieht OL auch den Vätern zu, die sich mittlerweile von den Müttern getrennt haben und sich vom eigenen Kind sagen lassen müssen, dass der neue Freund der Exfrau „viel lustiger als du“ ist.

Noch witziger als OLs Witze ist allerdings: Die Spätgebärenden und die Väter, die den Spätgebärenden die Kinder gemacht haben, finden’s auch witzig. Behauptet jedenfalls die Schriftstellerin Annett Gröschner im Vorwort zum Buch und erzählt von ihrer Frauenärztin, wo auf dem Klo die laminierten Strips von OL hängen. Wenn es wahr wäre, was Gröschner schreibt, würde das zumindest den großen Erfolg der Serie erklären. Das wäre dann wohl das Geheimnis von OLs Humor: dass sich die offensichtlich Verarschten zwar erkennen in den Zeichnungen, sich aber nicht angesprochen fühlen von der dort verbreiteten Häme.

OL mag mit seinen Zeichnungen vor allem Rache nehmen. Ganz nebenbei entspannt sich in den Tableaus, deren Hintergrund stets erkennbar der Kollwitzplatz ist, aber auch das Porträt eines Viertels und wie es sich verändert: Townhouses und Gated Communitys kommen in den Dialogen ebenso vor wie Rückbildungsgymnastik, die Namensuche für den Nachwuchs oder der Flohmarkt, der wegen Läusen abgesagt werden muss.

Mit der veränderten Situation klarzukommen versucht „Jürgen, der Säufer“, so etwas wie das Alter Ego des Autors. Der schimpft auf die Neuankömmlinge, auf die Touristen, auf die Mütter sowieso und auf die eigene Frau. Eine arme Sau. Ist noch dageblieben.

Wir dagegen, wir sind damals weggegangen aus Prenzlauer Berg, als der Bionade-Biedermeier noch lange nicht so hieß. Damals dachte ich, es wäre eine selbstbestimmte Entscheidung gewesen. Heute weiß ich: Wir wurden vertrieben. Dafür bin ich dankbar.

■ OL: „Die Mütter vom Kollwitzplatz“. Edition Galerie Vevais, Bliesdorf 2011, 120 Seiten, 18 Euro

■ „Die lustige Bilderschau“ mit OL und Rattelschneck am 23. 9. bei „Literatur live im Babylon“ im Kino Babylon