: Im Zweifel für die Giftspritze
USA Trotz massiver Zweifel an seiner Schuld und unter großen Protesten ist Troy Davis in Georgia hingerichtet worden. Sein Tod entfacht die Debatte über die Todesstrafe neu
AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN
Um 23.08 Uhr am Mittwoch liegt Troy Davis tot auf einer Bahre im Gefängnis von Jackson im Bundesstaat Georgia. 22 Jahre nach dem Polizistenmord, den er immer bestritten hat, und zwei Jahrzehnte nachdem ein Geschworenengericht ihn zum Tode verurteilt hat, ist dem Afroamerikaner der Giftcocktail gespritzt worden. Es ist die umstrittenste Hinrichtung der jüngeren US-Geschichte.
„Das beste Argument für die Abschaffung der Todesstrafe“, sagt Laura Moye von Amnesty International noch am Abend: „Der Staat Georgia zeigt, warum eine Regierung nicht das Recht über Leben und Tod haben darf.“ In den letzten Stunden von Davis’ Leben war Laura Moye eine von Hunderten von DemonstrantInnen, die mit Kerzen in der Hand singend und betend in der schwülen Hitze vor dem Gefängnis standen. „Zu viele Zweifel“ war auf Transparenten zu lesen. Und: „Nicht in meinem Namen“.
Der lange Kampf von Troy Davis hat Menschen in aller Welt angerührt. In der Bewegung für sein Leben waren sowohl prinzipielle BefürworterInnen als auch GegnerInnen der Todesstrafe, die weiterhin in 34 der 50 US-Bundesstaaten praktiziert wird, aktiv. Hunderttausende haben Petitionen unterschrieben, darunter so Prominente wie Papst Benedikt XVI. und der südafrikanische Bischof Desdmond Tutu, wie der aus Georgia stammende Ex-US-Präsident Jimmy Carter und der von Ronald Reagan eingesetzte Ex-FBI-Chef William Sessions sowie etliche Gefängnisdirektoren aus Hinrichtungszentren der USA. Ihre Gemeinsamkeit: die Furcht, mit Troy Davis werde der Falsche getötet.
Sein Verfahren war von Zweifeln überschattet. Von den neun BelastungszeugInnen, die in dem Mordprozess gegen Troy Davis ausgesagt haben, machten in den Jahren nach seiner Verurteilung sieben Personen Rückzieher. Sie erklärten, die Polizei habe sie unter Druck gesetzt. Und sie begründeten ihr Einknicken mit eigenen rechtlichen Unsicherheiten. Ein Zeuge war obdachlos. Andere waren nur auf Bewährung auf freiem Fuß. Ganz zum Schluss, als Troy Davis bereits sämtliche Justizinstanzen erschöpft und nur noch die Möglichkeit eines Gnadengesuchs bei der dafür zuständigen fünfköpfigen Kommission im Staate Georgia hatte, trat auch eine junge Frau in Aktion, die zum Zeitpunkt des Mordes ein fünfjähriges Kind war und damals überhaupt nichts davon mitbekommen hat. Quianna Glover berichtete dem Gnadenausschuss und – nachdem der am Dienstag die Umwandlung in „lebenslänglich“ abgelehnt hatte – auch dem Fernsehsender CNN von einem Mann im trunkenen Zustand, der von sich selbst sagte, er habe den Polizisten ermordet. Die Frau nannte den Namen des Mannes, und dass er sie bedroht habe, weswegen sie jetzt mit ihren Kindern in einem Versteck lebe. Der Mann ist einer der beiden Belastungszeugen, die ihre Aussage gegen Troy Davis nie zurückgezogen haben.
Unerschütterlich von Troy Davis’ Schuld überzeugt waren hingegen die Polizei in Savannah, wo Mark MacPheal ermordet wurde, sowie dessen Mutter, Witwe, Geschwister und Kinder. Wie oft vor Hinrichtungen in den USA spielten die Angehörigen des Opfers psychologisch die zentrale Rolle. Noch am Abend der Hinrichtung ließ sich die von mehr als zwei Jahrzehnten der Trauer und Verunsicherung gezeichnete Mutter des Ermordeten, Anneliese MacPheal, mehrfach in der abendfüllenden Livesendung von CNN interviewen. Dabei ging es um Gefühle und Gewissheiten der 77-jährigen Frau. Sie hoffe, dass die Hinrichtung ihr ein Stück „Seelenfrieden“ bringe.
Die meisten nationalen SpitzenpolitikerInnen hielten sich aus der Affäre heraus. Wenige Stunden vor der Hinrichtung sagte der Sprecher des Weißen Hauses, es sei „nicht richtig“, wenn Barack Obama sich in die Angelegenheit des Staates Georgia einmische. Wie 60 Prozent der US-BürgerInnen befürwortet auch Obama die Todesstrafe. Vor zehn Jahren, als sowohl die Morde als auch die Hinrichtungen noch zahlreicher waren, äußerten 70 Prozent der US-AmerikanerInnen ihre Zustimmung.
Der gegenwärtig stärkste republikanische Präsidentschaftsbewerber, Rick Perry, bekommt bei Wahlveranstaltungen tosenden Applaus für seine Hinrichtungsbilanz in Texas. Dort fand am Mittwochabend ebenfalls eine Hinrichtung statt. Es war die 235. unter Perry.
In Georgia hob der bereits an seine Bahre gefesselte Troy Davis den Kopf, um drei letzte Botschaften zu sagen. Dem Sohn und dem Bruder des ermordeten Polizisten sagte er: „Ich bedauere euren Verlust. Ich bin unschuldig. Ich hatte keine Waffe.“ Zu seiner Familie: „Grabt weiter nach der Wahrheit. Arbeitet. Und betet.“ Und zu seinen Gefängniswärtern: „Möge Gott Erbarmen mit eurer Seele haben.“