In Untiefen unterwegs

Die in den Seitenarmen der Elbe arbeitenden Fischer machen gegen die geplante Elbvertiefung mobil. Durch ihre Fanggründe wälzen sich bereits seit einigen Jahren gewaltige Sedimentmassen

VON KAI KOPPE

Während sich der Rumpf der „Ostetal“ gemächlich flussabwärts schiebt, spricht Walter Zeeck über Symptome. Darüber, dass die Seekarte D 44 „Elbmündung“ im letzten halben Jahrhundert 25-mal neu aufgelegt werden musste. Über Zeichen der Veränderung, die man beim Blick durch die Fenster der Brücke auch mit bloßem Auge wahrnehmen kann.

„Hier drüben zum Beispiel“, sagt Zeeck und deutet rüber auf eine an der Backbordseite des Kutters vorbeiziehende Polderfläche. Vor der Uferböschung hebt sich graubrauner Schlick aus dem Wasser. Ein Werk der Natur, entstanden nach dem letzten von Menschenhand vorgenommenen Eingriff ins Strombett der Elbe. Dabei braucht die „Ostetal“ mit halber Kraft jetzt noch gut eine Stunde, bis der Weltschifffahrtsweg tatsächlich in Sicht kommt.

Als „Fahrrinnenanpassung“ hatten die Hamburger Wasserbauer ihr letztes Mammutprojekt aus dem Jahr 1999 verkauft, bei welchem der Elbabschnitt zwischen Cuxhaven und Hamburg für Fahrzeuge bis zu 12,80 Meter Tiefgang tideunabhängig passierbar gemacht wurde.

Obwohl sich Klagen über die Konsequenzen der seinerzeit durchgeführten Baggerarbeiten von Jahr zu Jahr mehren, wird an den Zeichentischen der Planungsbehörde schon wieder gerechnet: 38 Millionen Kubikmeter Sand will die Hansestadt mit Zustimmung des Bundes bis 2010 im Flussbett bewegen, um Hamburger Terminals für eine neue Klasse von Superfrachtern erreichbar zu machen. Die nächste Vertiefung.

Umweltschützer von Nabu und BUND, Fischer und Deichverbände stromabwärts schlagen Alarm. „Man hat die Elbe doch jetzt schon entfesselt“, sagt Walter Rademacher, Sprecher des „Regionalen Bündnisses gegen die Elbvertiefung“ und berichtet von Watt-Abtrag und Uferabbrüchen im westlichsten Bogen des Stroms, kurz vor der Seemündung . „Was blüht uns in Zukunft bei Sturmflut“, fragen sich längst auch Landräte und die Vorsteher betroffener Unterelbe-Gemeinden.

Das Thema Deichsicherheit gilt Vertiefungsgegnern derzeit als schärfstes Schwert im Kampf gegen die „Hamburger Selbstherrlichkeit“. Nicht minder schwer wiegt aus Sicht des Protestbündnisses auch eine Liste von sich schon jetzt abzeichnenden Schäden in Elbnebenflüssen wie Oste und Lühe – Resultat vergangener Vertiefungsmaßnahmen, daran besteht aus dem Blickwinkel der gegen die neuerliche Ausbaustufe angehenden Bürger kein Zweifel.

Oste-Fischer Zeeck ist einer von den Alt-Eingesessenen, 40 Jahre lang Mitglied im Geversdorfer Schützenverein – kein Querulant. Mit seiner Meinung jedoch hält der Mann mit der blauen Schiffermütze nicht hinterm Berg. Am Mast der „Ostetal“ flattert die Fahne des „Regionalen Bündnisses“ als sichtbares Zeichen gegen jüngste Hamburger Pläne.

Die mutmaßlichen Folgen der letzten Vertiefung machen schon heute zu schaffen: Bei einem Fischzug draußen vor Otterndorf, wo die Wellen besonders heftig an den Uferbollwerken nagen, hat die Zeeck-Crew kürzlich ein Netzgeschirr eingebüßt.

Aber auch weiter oben, im Binnenbereich, gerät die Flusslandschaft mehr und mehr aus den Fugen: Durch das Oste-Revier, in dem Zeecks Familie seit sechs Generationen Aal, Stint und immer weniger Butt fängt, wälzen sich seit ein paar Jahren gewaltige Sedimentmassen.

Elbaufwärts rollende Sand- und Schlickwellen verändern auch das Bild der Seitenzuflüsse und sorgen dafür, dass auf die althergebrachten Orientierungsmarken der Fischer kaum noch Verlass ist.

Dass die letzten Baggerarbeiten schuld daran sind, wird von Hamburger Seite gerne bestritten. Andererseits spricht die Wirklichkeit eine deutliche Sprache: An vielen Stellen sind auf dem Grund der Flussläufe tiefe Krater entstanden, anderenorts türmen sich Schlickberge zu Untiefen auf, die den Kutter bei Niedrigwasser an der Weiterfahrt hindern. „Das ist für uns existenziell“, gibt Zeeck zu bedenken, „weil wir dann nicht mehr an unsere Fangplätze rankommen“.

Es dauert nicht lange, bis die Untiefen auf sich aufmerksam machen: Die „Ostetal“ hat Kurs auf den Anleger Geversdorf genommen, als es unter dem Rumpf des 22 Meter langen Schiffes knirscht. Das Kaffeegeschirr an Deck klappert, der Diesel ackert ein paar Minuten vergeblich, dann stellt der Käpt‘n den Motor ab. Der Kutter hat sich im Schlamm festgefahren.