: Die Schwierigkeit, Nein zu sagen
SUPERMARKT Mit zwei kleinen Kindern einkaufen gehen – es gibt Schöneres als den alltäglichen Kampf vor der Kasse
BERLIN taz | Nach der Arbeit, Blick in den Kühlschrank – Milch ist alle. Horror! Ohne Milch kein Müsli, ohne Müsli kein Frühstück, ohne Frühstück, ach, egal. Ich mach das Unvermeidbare, ich gehe mit den Kleinen in den Supermarkt. Es gibt Schöneres. Schon dort, wo die Milch steht, stehen auch Joghurts, auf denen Autos, Biene Maja oder Drachen abgedruckt sind. Ich fange an, meinem fünfjährigen Sohn zu erklären, dass der Jogurt mit den Autos nicht anders oder besser schmeckt als der Joghurt ohne.
Derweil ist meine anderthalbjährige Tochter längst losgestratzt, um die Regale auszuräumen und alles wahllos in unseren Korb zu legen. Ich sage Sachen wie „Nein, das gehört nicht uns, das muss man alles bezahlen, nein, leg das bitte zurück“ und fange an, die Sachen wieder zurückzulegen, parallel dazu werde ich mit Fragen von meinem Sohn beschallt. Ich wollte Milch kaufen. Aber was mache ich? Ich mach die Jacke auf, weil ich schwitze. Dabei sind wir noch nicht an dem Regal mit den Süßigkeiten vorbei und auch noch nicht an der Kasse, dem eigentlichen Höhepunkt. Dort stehen nämlich ganz tief unten, Kinderriegel, Ü-Eier, kleine Autos und Legofiguren. Meine Kinder greifen zu, weil sie auf Augenhöhe sind. Man kann jetzt auf die Industrie schimpfen und sich echauffieren, dass die Süßigkeiten genau dort stehen, wo man ohnehin mit Kindern ins Schwitzen kommt. Waren aufs Band legen, kleines Kind am Weglaufen hindern, gleichzeitig das andere Kind beschwichtigen, das sagt, „Mama-kann-ich-dies-oder-das-noch haben“. Wenn man Pech hat, schmeißt es sich auf den Boden und brüllt, während das andere sagt: „Ich muss Pipi.“ Währenddessen meint man Blicke auf seinem Körper zu spüren und aufkommende Gedanken wie „Hat die ihre Kinder nicht im Griff“ zu hören. Klar überlegt man sich in solchen Momenten, „Ach, schnell die Schoki kaufen und Ruhe.“
Ja, man könnte der Industrie verbieten, die Süßigkeiten dort hinzustellen. Und ihr vorwerfen, dafür verantwortlich zu sein, dass immer mehr Kinder an Diabetes erkranken. Aber das wäre zu einfach. Denn Verbote für alles zu fordern, beraubt den Menschen seiner Fähigkeit, selbst zu entscheiden. Ja, vielleicht hat man das Gefühl, ein wenig erpresst zu werden – aber ich kann nein sagen und mit einem schreienden Kind nach Hause gehen. Ich habe diese Wahl. Ja, vielleicht wird es das noch einmal und nochmal tun. Aber dann wird es aufhören. Mein Sohn quengelt nicht mehr an der Kasse. Meine Tochter wird das auch noch lernen.
Überall wird suggeriert, was man alles braucht, um glücklich zu sein. Es ist einfach, die Zuckerindustrie zu verteufeln. Aber diese setzt nur auf Angebot und Nachfrage. Also, sagt doch einfach Nein. Besser, sie lernen es früh genug. JASMIN KALARICKAL