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Archiv-Artikel

Wo sind die Abenteuer?

BALLHAUS NAUNYNSTRASSE Michael Ronen inszeniert „Perikizi“ nach einem Roman von Emine Sevgi Özdamar. Doch sein Theater verfehlt den differenzierten Blick auf die Geschichte einer Einwanderin

Michael Ronen bombardiert uns mit einem unerträglichen Gutmenschentum

VON ALEM GRABOVAC

Die Inszenierung ist gescheitert, die Geschichte des Stückes schnell erzählt. Perikizi, ein junges Mädchen aus Istanbul, träumt von der großen Schauspielkarriere in Europa. Sie bricht die Schule ab und geht, allen Mahnungen von Eltern und Großmutter zum Trotz, mit einem einjährigen Arbeitsvertrag nach Deutschland. Doch anstatt die Titania in Shakespeares Sommernachtstraum zu spielen, muss sie am Fließband Hühnereier verpacken. Der Traum wird zum Albtraum – gebrochen und blutüberströmt kehrt sie in ihre Heimat zurück.

Das Stück „Perikizi“ basiert auf Emine Sevgi Özdamars autobiografischem Roman „Die Brücke vom Goldenen Horn“ und wird vom israelischen Regisseur Michael Ronen als eine Art surreales Traumspiel inszeniert. Das Problem ist, dass die Träume blutleer und ausgedacht wirken. Die Dialoge mit den Elfen und Feen sind selbstreferenziell, beziehen sich auf Homer und Shakespeare, anstatt sich mit der ambivalenten Realität der Gastarbeiter zu befassen.

Anpassung der Träume

Gewiss haben viele Gastarbeiter Deutschland als eine Art Schlaraffenland betrachtet, in dem das Geld auf der Straße liegt. Und natürlich wurden ihre naiven und jugendlichen Träume von der knallharten Realität in den Fabriken sehr schnell zerstört. Das Leben als Straßenfeger, Putzfrau oder Akkordarbeiter war kein Zuckerschlecken – dennoch haben sie weitergearbeitet, das ersparte Geld nach Hause geschickt und ihre Träume allmählich der Realität angepasst.

„Perikizi“ endet dort, wo die eigentliche Geschichte beginnt. Erzählt wird das typische Hollywood-Drama: Junges Mädchen kommt in die Traumfabrik und scheitert. Wer will so etwas noch sehen? Das ist doch langweilig!

Auch die Schauspieler können das Stück nicht retten. Elmira Bahrami gelingt es nur ansatzweise, Perikizi als lebenshungriges Mädchen darzustellen. Ihrem Spiel fehlt es an Unbekümmertheit.

Darüber hinaus bombardiert uns der Regisseur Michael Ronen mit altbackenen Klischees und einem unerträglichen Gutmenschentum. Aus den Häusern, in denen die Gastarbeiter wohnen, wurden einst die Juden vertrieben. Der deutsche Aufseher besteht auf Arbeitsmoral und Leistung. Die Gastarbeiter leiden am Fließband und können sich nicht selbst verwirklichen. Die Deutschen sind rational, kalt und mögen eine komische Rumtata-Musik, während die Gastarbeiter mit ihrer emotionalen Wärme und ihrer Kreativität verkannt werden. Und obwohl die Geschichte in den 60er Jahren spielt, fährt Perikizi durch ein Bürgerkriegsjugoslawien der 90er Jahre und liest auf der Toilette Die Zeit mit dem Titelcover des Papstbesuches in Deutschland. Was sollen diese Bezüge? Für was braucht man den Krieg in Jugoslawien? Auch die Anspielung auf den Holocaust ist überflüssig.

Odyssee verpasst

Am Anfang der Inszenierung verweist das Stück auf Homers „Odyssee“. So wie einst Odysseus verlässt die junge Perikizi ihre Heimat, um die Welt zu erobern. Doch wo bleiben ihre Abenteuer, wer sind ihre Gegenspieler, wo sind die Seeungeheuer, Riesen und Sirenen? Die Abenteuer der Perikizi werden im Stück nur angedeutet. Dabei hätte das Thema den Stoff für solche Konflikte hergegeben. Das Staunen im fremden Land. Die Suche nach der neuen Sprache, die dem Roman von Emine Sevgi Özdamar seinen besondern Geschmack und Witz gibt. Die anderen Werte und die fremde Religion. Das Alltagsleben in den Fabriken und Wohnheimen. Die Gefahr von Prostitution und Kriminalität. Die Gewalt in den Familien. Das Zusammenleben mit den ausländischen und deutschen Freunden und Feinden. Die zerplatzten Träume und vielleicht das neue, kleine Glück?

Das postmigrantische Theater Ballhaus Naunynstraße hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Geschichte der Ausländer, Gastarbeiter und Menschen mit Migrationshintergund jenseits von stumpfsinnigen Assimilationsforderungen und einer realitätsfremden Multikultirhetorik, anders und differenziert zu erzählen. Auf dieser Kontrastfolie ist das Stück „Perikizi“ eine einzige Enttäuschung. Geboten werden eindimensionale Charaktere und banale Handlungsabläufe, die die Komplexität der Realität reduzieren, anstatt sie zu erweitern. Die Geschichte der Migration wird platt nacherzählt und banalisiert. „Perikizi“ umschifft die Risse, Brüche und Widersprüche in den Lebenswirklichkeiten der Menschen mit Migrationshintergrund und verliert sich in kindischen Traumfantasien.

■ Wieder am 29./30. 9., 6./7. 10.