: Appetit auf Oaxaca
KULTURERBE Texmex? Chili con Carne, diese Pampe? Alles pseudo! Nichts davon ist genuin Mexikanisch. Zum Glück gibt es die regionale Küche der Kolonialstadt Oaxaca
■ Die Gastronomie: Oaxaca verfügt über eine Reihe hervorragender Restaurants, neben dem Casa Oaxaca und dem Casa Oaxaca El Restaurante die Restaurants Catedral, La Teca und La Mezcalería. Im Mercado 20 de Noviembre kann man an den zahlreichen Ständen gut und günstig essen.
■ Das Getränk: In Oaxaca gibt es Dutzende von Mezcal-Destillerien, zwei bekannte produzieren in Santiago Matatlán: die Destilería Los Danzantes (www.losdanzantes.com) und El Rey Zapoteco (www.elreyzapoteco.com.mx). Mezcal TV ist ein Internet-Kanal, der sich ausschließlich Meczal widmet. (www.mezcal.tv).
■ Die Auskunft: www.visitmexico.com www.oaxaca.travel
■ Die Feste: Foodfestival El Saber del Sabor (Das Wissen um den Geschmack), Mezcal-Fest Feria Nacional del Mezcal.
■ Die Literatur: Ortrun Egelkraut: „Mexiko“, Vista Point Verlag, 4. Aufl. 2008, 22,50 Euro; Fiona Dunlop: „Viva La Revolución! New Food from Mexico“, Mitchell Beazley Verlag, 22,99 Euro; Laura Esquivel: „Bittersüße Schokolade“. Mexikanischer Roman um Liebe, Kochrezepte und bewährte Hausmittel in monatlichen Fortsetzungen, Suhrkamp Verlag, 8,50 Euro; Malcom Lowry: „Unter dem Vulkan“, Rowohlt Verlag, 9,95 Euro; „Fünfunddreißig Mescals in Cuautla“ (Gedichte), Rowohlt Verlag, 1983 (antiquarisch).
■ Der Artikel: Dieser Text basiert auf einer Pressereise nach Oaxaca, die vom mexikanischen Fremdenverkehrsbüro finanziert wurde.
VON GÜNTER ERMLICH
Wie richtige Mexikaner frühstücken wir in der Markthalle 20 de Noviembre. Unter dem Marktdach reiht sich Essstand an Essstand, es gibt hundert dieser Comedores. Wir lassen uns am Stand 39 im Comedor Maria Teresa nieder. Die Frauen tischen einen Augenschmaus nach dem anderen auf: Tamales à la oaxaquena, in Bananenblätter gekochte, mit Hühnerstückchen gefüllte Maisfladen. Tlayudas, opulente regionaltypische Tortillas aus Maismehl. Enchiladas, gerollte Tortillas mit Mole Negro, einer sämig-braunen Sauce aus Chilis und Kakao. Dazu ein Champurrado, ein Maismehlgetränk mit Schokolade. Alles ist delicioso, aber genug ist genug, und die Chapulines, geröstete Heuschrecken, ein lokaler Leckerbissen, sprechen nicht sofort jedermann an.
Maria Eugenia, die Chefin unseres Comedors, studiert aufmerksam die Polizeinachrichten in der Zeitung. Seit 55 Jahren, in der dritten Generation, betreibe ihre Familie den Marktstand, sagt sie, dieses Recht sei vererbbar. Jeder Comedor habe seine Stammkunden, man bekomme ein Essen schon für 40 Pesos, gut zwei Euro. Es sei un bonito negocio, was wir nicht nur als schönes, sondern auch als lukratives Geschäft übersetzen.
Allein dieser Name: Oaxaca, sprich Oachakah, zergeht lautmalerisch auf der Zunge. Oaxaca, genau genommen Oaxaca de Juárez – der Beiname erinnert an den mexikanischen Präsidenten und Nationalhelden Benito Juárez, der indianischer Abstammung war und in der Nähe geboren wurde – liegt in 1.550 Meter Höhe in einem Hochtal der Sierra Madre, in einer klimatisch moderaten Zone, angenehme 22 Grad im Jahresmittel.
Im Jahr 1529 gründeten die spanischen Eroberer die Stadt – heute mit 300.000 Einwohnern Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaats im Südosten Mexikos – und verordneten ihr das von der Krone vorgeschriebene schachbrettartige Straßenmuster. Wer durch das historische Zentrum schlendert, erlebt geballte koloniale Pracht: pastellfarbige, aus grünem Sandstein erbaute zweigeschossige Stadthäuser mit schmiedeeisernen Gittern vor den Balkonen, Fenstern und Portalen. Hinter unscheinbaren Fassaden verbergen sich lauschige Innenhöfe. Der Zocálo, das pulsierende Herz der Stadt, ist ein von Arkaden gesäumter, von Platanen beschatteter, von der wuchtigen barocken Kathedrale behüteter Platz. Zum Essen und Trinken, Flanieren und Demonstrieren. Neben den nahen Ruinen von Monte Alban, dem Zeremoniezentrum der Zapoteken, wurde die „koloniale Perle“ im Jahr 1987 zum Weltkulturerbe der Unesco gekürt. Seitdem hat sich die Altstadt touristisch aufgemöbelt: In viele Kolonialhäuser zogen schicke Boutiquehotels und trendige Restaurants, hippe Clubs und Internetcafés, Kunstgalerien im Dutzend.
Nahe der Kirche Santo Domingo speisen wir in der Casa Oaxaca zu Mittag. Dieter Kronzucker, der deutsche Fernsehjournalist, ließ vor 15 Jahren eine Hausruine aus dem 18. Jahrhundert zu einem stilvollen Boutiquehotel mit sieben Zimmern restaurieren, das heute koloniales Flair mit zeitgenössischer Kunst lokaler Maler verbindet. Für Señor Kronzucker ist Oaxaca „die Essenz von Mexiko“, die mexikanischste Stadt ganz Mexikos. Mit seinem jungen Küchenchef Alejandro Ruiz hatten wir vormittags auf dem Markt Central de Abastos alle Zutaten fürs Mittagessen gekauft.
Fast alle Zutaten stammten von Bauern in den Tälern Oaxacas, erklärt uns Alejandro Ruiz, nur Fisch und Meeresfrüchte kämen von der Pazifikküste. Jetzt degustieren wir das gerade vor unseren Augen zubereitete Viergängemenü: Dorade mit grüner Ceviche, Quesadilla mit einem schwarzen Pilz namens Huitlacoche und Guacamole, dann das Wildgericht Amarillo de Venado und zum Dessert eine Limonentarte. Qué rico! Superlecker!
Doch wir wollen nichts unter den Tisch kehren, draußen vor der Tür wartet eine andere Welt. Vor zwei Jahren wurde die touristische Idylle in Oaxaca gleich dreifach getrübt, als die globale Finanzkrise mit der Schweinegrippe und dem Dauerstreik der Lehrer zusammenfiel, die mächtigen Lehrergewerkschaften den Zócalo in ihr Zeltlager umfunktionierten und mit Straßenblockaden und Demonstrationen das Herz der Stadt lahm legten.
Sozialer Brennpunkt
Schon 2006 war Oaxaca ein halbes Jahr quasi „geschlossen“, weil 70.000 Lehrer im Bundesstaat für mehr Lohn streikten und den Zócalo besetzten. Ihr Protest mündete in das organisierte Bündnis Appo aus Vertretern indigener Gemeinden, NGOs, Basisgruppen, politischen Dissidenten, Frauen- und Studentengruppen und richtete sich gegen die Korruption der Regierung, staatliche Repression und die extreme soziale Ungleichheit. Oaxaca ist der zweitärmste Bundesstaat Mexikos mit dem größten Anteil an indigener Bevölkerung. Die 14 Ethnien leben mehr schlecht als recht als Campesinos auf dem Land und in den Dörfern der unwegsamen Sierra Madre. Der „Kampf um Oaxaca“ explodierte schließlich in gewaltsamen Straßenschlachten zwischen Lehrergewerkschaften und Sympathisanten einerseits, Polizei und Paramilitärs andererseits. Für die Tourismusindustrie, an der die Indígenas nur marginal partizipieren, war das ein Fiasko. Denn Oaxaca hängt – neben den Geldüberweisungen der indocumentados, Hunderttausender in den USA arbeitender illegaler Migranten, vor allem am Tropf des Tourismus.
Viele Künstler engagieren sich leidenschaftlich für das koloniale Kleinod. Allen voran Francisco Toledo, Mexikos berühmtester zeitgenössischer Maler, el maestro, wie ihn hier alle ehrfürchtig nennen, ein kleiner Mann vom Volk der Zapoteken. In ihrer Galería Quetzalli erzählt Graciela Cervantes, die rechte Hand von Toledo, über die vielen Kämpfe des heute 71-jährigen Maestro. Vor zwanzig Jahren schon verhinderte er mit Gleichgesinnten, dass die Regierung das Konvent Santo Domingo an die Luxushotelkette Camino Real verkaufte.
Das sei die Geburtsstunde von Proax gewesen, erklärt die Galeristin, einer Initiative von 30 bis 40 Aktivisten, die das kulturelle Erbe Oaxacas verteidigen. Im Jahr 2002 protestierte Proax erfolgreich dagegen, dass sich McDonald’s am zentralen Zócalo ansiedeln konnte. Die Aktivisten stellten lange Tische auf den Platz, verteilten an die Bevölkerung Berge köstlicher Tamales, in Bananenblättern gekochten Maiskuchen, und skandierten „Kein Junk Food“ und „Ja zu Oaxacas großer Kochkunst“.
Im vergangenen Jahr stellte die Unesco die wahre mexikanische Küche (neben der französischen) als „immaterielles“ Weltkulturerbe unter besonderen Schutz und pries deren „praktische Rituale, das alte praktische Wissen und die uralten kulinarischen Techniken und Bräuche“. Oaxaca steht schon lange dafür.
TRINKSPRUCH AUS OAXACA
Die Augen von Graciela Cervantes leuchten, als sie aufzählt, was el maestro Toledo alles für das reiche Kunst- und Kulturleben Oaxacas getan hat. Er stiftete ein Kolonialgebäude für das Instituto de Artes Gráficos de Oaxaca, prägte das Museum für zeitgenössische Kunst als Präsident, gründete ein Zentrum für Fotografie und richtete ein kostenloses Programmkino ein. Im Jahr 2005 erhielt der rastlose Kulturenfischer den alternativen Nobelpreis, die Jury lobte den „Einsatz Toledos und seiner Kunst für den Schutz, die Entwicklung und Erneuerung des Architektur- und Kulturerbes, der Umwelt und des Gemeinschaftslebens seiner Heimat Oaxaca“.
Dazu passt auch Santiago de Matatlán, die nahe gelegene „Weltkapitale des Mezcal“. Fast alle 9.000 Einwohner sind Mezcaleros und leben vom hochprozentigen Schnaps. Auf den Feldern rund um das Dorf wächst die Maguey genannte Agave, der Rohstoff für den Mezcal. In der Destillerie El Rey Zapoteco räumt Julián Gomez, Ethnologe und Mezcal-Connaisseur, mit dem Urteil auf, dass in jedem Mezcal ein Würmchen schwimme. Nein, sagt Gomez, das sei nur ein Marketingcoup einer Firma in den fünfziger Jahren gewesen, um sich vom bekannteren Tequila abzusetzen.
Qualitätsprodukt Mezcal
Während Tequila industriell in Fabriken produziert wird, erklärt uns Señor Gomez, wird der Mezcal in rund 700 kleinbäuerlich-familiären Destillerien in Handarbeit hergestellt. Er sei aus 100 Prozent Agave gebrannt, seit 1994 gebe es eine Norm und eine geschützte Herkunftsbezeichnung und seit 2005 vergebe die Organisation Comercam ein Qualitätssiegel, das für Handel und Export zwingend ist.
Abends schreiten wir zur Degustation in der Mezqualeriá. Das Restaurant in Oaxaca-Stadt gehört dem smarten Marketingdirektor der Tourismusbehörde. Gabriel Antonio Pedro Reyes lässt uns die drei Mezcal-Prototypen probieren, die sich vom Alter, also der Lagerdauer unterscheiden: den jungen Blanco, den ein paar Monate alten Reposado und den mindestens ein Jahr in Eichenfässern gereiften Añejo. Der Gastronom möchte „eine neue Kultur rund um den Mezcal schaffen“. Einen Agavencocktail wie den Coctel Oaxaqueño zu mixen, ist schon trendy, aber das Mezcalaroma auch für Speisen wie die Magueytortilla und das mit Mezcal getränkte Orangenmousse zu nutzen, ist fast schon revolutionär.