Rettung für die abstürzende Mitte

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das „Café am anderen Ende der Welt“ – ein Lichtblick im Zonenrandgebiet

Alle Berliner eint die Angst vor dem Absturz. Nicht nur vor dem finanziellen, sondern dem sprichwörtlichen Sturz vom Tellerrand, der ja auch irgendwie ein sozialer ist. Deshalb bleibt man gerne in seinem Kiez, alles außerhalb des Tarifbereichs AB erscheint fremd und leer. Aber auch in Mitte, was ja einige für den Nabel der Welt halten, tun sich gottverlassene Straßen auf, beispielsweise die Scharnhorststraße. Als letzten Außenposten der Latte macchiato trinkenden Gesellschaft findet man im ehemaligen Sperrgebiet vor dem Todesstreifen das kleine Café „Am Ende der Welt“.

Von fast ganz Mitte aus kann man sehen, wo dieses Ende der Welt ist: gleich beim hohen Schornstein, der hinter der Charité in den Berliner Himmel ragt. Das Café liegt gegenüber dem Invalidenfriedhof, zwischen einem Kraftwerk und einer vor sich hin faulenden Ruine, von der braun-grauer Ostputz abblättert. Der einzige Farbtupfer in dieser Tristesse ist das ostalgisch-rote Fähnlein an der Eingangstür des Cafés: Der Stern auf demselben wirbt jedoch lediglich für eine Biermarke. Mit der DDR haben die Betreiber nichts zu tun, mit dem Ende der Welt auf gewisse Art schon: Sie stammen aus Nordfriesland.

Im Innern wirkt das helle Café seltsam aufeinandergestapelt. Man tritt im Erdgeschoss ein, die Kasse und Theke liegen im Souterrain, in der Hochparterre stehen Tische, Stühle und ein Sofa. Am Boden Laminat und Baumwollläufer, an den Wänden hängt uruguayisches Kunsthandwerk, in der Vitrine liegen bunte Häkelmützen. Nein, wie ein Mitte-Café sieht es hier nicht aus, eher wie im Eine-Welt-Laden in der Marbuger Oberstadt.

Die Antwort des Kellners auf die Frage nach einer Karte aber fällt bezirkstypisch aus. Gibt es nicht, es wird daran gearbeitet – wohlgemerkt ein Jahr nach der Eröffnung! Bis dahin gleicht die Bestellung einem Ratespiel und endet mit dem schönen Satz: „Ich kann dir einen Salat machen.“ Persönlicher kann Service nicht sein.

Der Salat entspricht der Erwartung. Kein hochgejazztes Design-Grün, sondern einfach nur eine Mischung aus Gurken, Tomaten, Eisberg und Mozzarella mit Balsamico-Dressing. Der Bagel-Klassiker mit Lachs und Frischkäse ist gelungen, das Käse-Schinken-Sandwich wurde mit Chilipulver bestreut und lässt die einfallslosen Tramezzini, die es in Berlin plötzlich wieder an jeder Ecke gibt, grau aussehen. Ja, es lohnt sich mitunter, die Angst vor dem Rand zu besiegen. Wer sich aus dem Tarifgebiet AB noch nicht ganz heraustraut, der kann am Café „Am Ende der Welt“ erst einmal sachte den Ausstieg üben.

CAFÉ AM ENDE DER WELT, Scharnhorststr. 5, Mo.–Fr. 8 bis 18, Sa. 10–16 Uhr, Bus M 120, Latte macchiato EUR 2,40, Bagel ab EUR 2,20, Salat EUR 3