: „Extremisten differenzieren nicht“
COMIC Ben Katchor ist Teil der „Comics zur Lage der Welt“-Schau. Ein Gespräch mit dem Zeichner, natürlich auch über „Charlie Hebdo“
■ geboren 1951 in New York, wo er auch heute noch lebt. Zu Beginn der achtziger Jahre debütierte der Comic-Zeichner Katchor in dem als bahnbrechend geltenden Comicmagazin RAW, in dem auch Art Spiegelmans „Maus“-Comic zuerst erschien. Auf Deutsch liegt im Avant-Verlag von Ben Katchor der Graphic-Novel-Band „Der Jude von New York“ vor.
INTERVIEW RALPH TROMMER
Kann ein Comic die Welt auf einer Seite einfangen? Auf jeden Fall einen Ausschnitt, humorvoll überspitzt, poetisch oder auch in einer düsteren Zukunftsvison verdichtet. In der Galerie Neurotitan ist die Ausstellung „Comics zur Lage der Welt“ zu sehen, die eine Auswahl der in der Le Monde diplomatique veröffentlichten Comics zeigt. 47 Künstler aus 22 Ländern stellten Drucke, Vorstudien und viele Originale ihrer Seiten zur Verfügung. Mit feiner Feder gezeichnet ist das ganzseitige, rätselhafte Bild des Franzosen Xavier Coste, wo in einem idyllischen See erst auf den zweiten Blick ein versunkenes Paris zu entdecken ist. Nach den Anschlägen vor zwei Wochen hat dieses Bild von 2012 vielleicht eine neue Bedeutung bekommen. Die Seite des US-Amerikaners Ben Katchor wiederum handelt von einem Ego-Shooter-Spieler, auf den plötzlich zurückgeschossen wird. Katchors skizzenhaft gezeichnete Stories sind subtile gesellschaftskritische Kommentare, die auf Deutsch in seiner Graphic Novel „Der Jude von New York“ zu lesen sind. Anlässlich der Ausstellung ist Katchor nach Berlin gekommen und stellte dabei auch am Mittwochabend in einer Lesung im taz-Café „Der Jude von New York“ vor.
taz: Herr Katchor, Ihr Buch „Der Jude von New York“ handelt von jüdischer Identität im frühen New York.
Ben Katchor: Nur in diesem einen Buch geht es um eine konkrete Stadt, New York, und jüdische Charaktere. Ich interessiere mich für Geschichte, und über diese Zeit war nicht viel bekannt. Die Juden suchten damals nach ihrer Identität, und ich glaube, viele Juden wissen auch heute noch nicht, wer sie eigentlich sind. „Jude“ ist eine nebulöse Bezeichnung, ebenso wie vielleicht ein Deutscher zu sein nebulös ist. Mordechai Noah, das ist der Ausgangspunkt des Buches, wollte 1825 die Stämme Israels auf einer Insel bei Buffalo versammeln, als Vorstufe zu Palästina. Er nutzte seine Identität für seine politische Karriere. In dem Buch geht es aber auch grundsätzlich um ein Porträt New Yorks um 1830. Damals setzte die Marktwirtschaft ein und es war eine spannende Zeit für die New Yorker Theaterszene, die auch von Juden mitgeprägt wurde.
Sie sind in Brooklyn aufgewachsen, wo noch Jiddisch gesprochen wurde.
Mein Vater sprach Jiddisch, weil er als polnischer Jude und Immigrant schon in den 1920ern nach New York kam. Aber er war ein Kommunist und Atheist, wie er waren viele Juden damals nicht interessiert an der eigenen Religion. Diese säkulare jüdische Kultur existiert nicht mehr.
Wie haben Sie die Anschläge vor zwei Wochen in Paris erlebt – der eine gegen die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo gerichtet, der andere gegen Juden in einem Supermarkt?
Nun, ich kannte jemanden persönlich, der für dieses Magazin arbeitet, den Zeichner Willem, und dadurch war ich sehr besorgt um ihn. Später stellte sich heraus, dass er während des Anschlags noch auf dem Weg zur Redaktion war und nur deshalb nicht Opfer des Anschlags wurde. Die ermordeten Karikaturisten hatten zum Teil eine lange Karriere, Cabu war um die 70, Wolinski um die 80 Jahre alt, und sie hatten schon alles Mögliche gezeichnet – es ist traurig, dass sie so sterben mussten und nun in der Öffentlichkeit vor allem in Erinnerung bleiben als „Mohammed-Karikaturisten“. Das wird ihnen nicht gerecht. Die extrem rechten Politiker und Zeitungen in Frankreich, die seit Jahren gegen Muslime und Einwanderer hetzen, wurden nicht angegriffen, stattdessen wurde eine kleine, linke Zeitung attackiert, die antirassistische und antikolonialistische Standpunkte vertrat. Das ist eine böse Ironie.
Handelt es sich also um ein Missverständnis, dass durch die Globalisierung überall in der Welt nur die Mohammed-Karikaturen und deren vermeintliche Blasphemie gesehen werden?
Es gibt große Unterschiede, wie ein Cartoon interpretiert werden kann. Charlie Hebdo ist ein grundsätzlich antireligiöses Magazin, das nichts gegen Gläubigkeit an sich hat, sondern gegen den Missbrauch der Religionen. Die Charlie-Hebdo-Mitarbeiter sind Meinungsfreiheit-Absolutisten, sie wollen sagen dürfen: „Das ist dumm, was jene da machen.“ Es ist ein Magazin für gebildete Franzosen der Mittelklasse, die diese Witze zu lesen wissen, Extremisten hingegen differenzieren nicht, sie sehen die Karikaturen einfach als persönliche Beleidigungen an.
Wie wurden die Anschläge in der USA aufgenommen? Wie sieht es dort mit der Pressefreiheit aus?
In den USA waren die Karikaturisten unbekannt, es waren einfach Zeichner, die „rassistische Cartoons“ gemacht haben, man versteht dort nicht so ganz die Hintergründe. Für die Mainstream-Presse war es ein geeigneter Anlass, um die Kriege im Nahen Osten zu rechtfertigen und den Kampf fortzuführen, vor allem möglichst alle Al-Qaida-Mitglieder zu töten. Aber wir müssen auch weiterhin kämpfen für die Pressefreiheit. Journalisten können ins Gefängnis kommen, wenn sie zu frei über die Regierung berichten. Zum Beispiel, als der Journalist James Risen von der New York Times, der als erster über die „Waterboarding“-Foltermethode der CIA berichtete, sich weigerte, seine Quelle zu nennen, und deshalb vor Gericht gestellt wurde.
Ist es eine schwere Zeit für Karikaturisten?
Eigentlich nicht schwerer als sonst auch. Karikaturen können immer beleidigend wirken und dann kann man erschossen werden wie schon 1987 der palästinensische Karikaturist Nadschi Salim al-Ali in London.
Wie gestaltet sich Ihr Aufenthalt in Berlin?
Berlin ist eine Stadt mit vielen großartigen Comiczeichnern, von denen ich einige gerade persönlich kennenlerne.
■ „Comics zur Lage der Welt“ in der Galerie Neurotitan, Rosenthaler Str. 39, bis 31. 1., Mo–Sa 12–20 Uhr