DIE LIEBESERKLÄRUNG : Björk
SO EIN KLEINES LEAK HAUT DIE ISLÄNDISCHE SÄNGERIN NICHT UM. SIE VERÖFFENTLICHT IHR ALBUM EINFACH ETWAS FRÜHER
War schon klar: Wenn da Musikpiraten vor der isländischen Küste schippern oder über den Hudson River nahe Deiner Wahlheimat Brooklyn paddeln, kann Dir das wenig anhaben, Björk Guđmundsdóttir.Soll ihnen doch der ein oder andere Song ins Netz gehen! So ein kleines Leak haut Dich nicht um; Du teilst Deinen Fans stattdessen mit: „I am so grateful you are still interested in my work!“ Du bist klug genug, den Leakern nicht die Leviten lesen zu wollen; gute Manieren hat man – oder man hat sie nicht.
Viele sagten, Du hättest Größe bewiesen, als Du die Veröffentlichung Deines neuen Albums „Vulnicura“ vorgezogen hast, nachdem es jemand ins Netz gestellt hatte. Ich glaube, es zeigt vielmehr Deine künstlerische Größe. Andere in die Jahre gekommenen Popkünstler bekamen zuletzt gespiegelt, dass ihre Musik ein bisschen Schimmel angesetzt hat. Madonna-Songs gehackt! Egal. U2? Nicht mal geschenkt. Du aber bleibst liebenswert, leakenswert.
Aus kommerziellen Gründen kann es Dir schnurz sein, wie, wo und wann Dein neues Album erscheint. Während die musikalische Mittelklasse darbt bei all der digitalen Klauerei, bist Du längst im Popadel angekommen. Die Ausstellung im MoMA ist gebucht, die Shows dazu auch. Du lässt es aber nicht raushängen, sondern schreibst Briefchen auf Facebook, die von Herzen kommen und zu Herzen gehen. Zu meinem zuallererst.
Zu guter Letzt: Songs kann man leaken, Gesamkunstwerke nicht. Vollkommen bist Du nur mit Deinen komischen, kosmischen Kleidchen, pompösen Perücken; mit all dem Ambivalenten, das Du verkörperst, das uns anmacht: Nostalgie wie Futurismus, Transzendenz wie Bodenhaftung. Am Ende die Liebe zur Wildnis und zur Wildness. Wie lächerlich so ein kleines Leck dagegen ist. JENS UTHOFF